Entscheidung in Gretna Green
ich mich ankleiden und packen kann.“
Als käme ihr dieser Punkt erst jetzt in den Sinn, setzte sie hinzu: „Sie könnten mir einen großen Gefallen tun: Wecken Sie meinen Stallmeister und verständigen Sie ihn von der Abreise.“
„Nein, Felicity. Das lasse ich nicht zu.“ Hawthorn entzog ihr den Leuchter, als sie danach greifen wollte. „Die Reise ist zu beschwerlich und außerdem gefährlich.“
Ihre Augen blitzten wie geschliffene Smaragde. „Sie sind nicht mein Vormund, Mr. Greenwood. Auch wenn Sie das Bett mit mir geteilt haben, sind Sie noch lange nicht berechtigt, mir Vorschriften zu machen. Keine Macht der Welt bringt mich von meinem Vorhaben ab.“
Störrisches Frauenzimmer! Hatte sie es nötig, ihn mit ihrer Zurückweisung und ihrer gehobenen gesellschaftlichen Position zu brüskieren? Er bekämpfte seinen aufsteigenden Zorn. Es würde ihr recht geschehen, wenn er sie in ihr Unglück rennen ließe.
Zu seiner Verblüffung nahm sie seine freie Hand in ihre beiden Hände und dämpfte die Stimme. „Wir sind uns doch darin einig, dass Ivy und Oliver zur Vernunft gebracht werden müssen. Warum streiten wir uns eigentlich? Wir haben doch keine andere Wahl.“
Was bezweckte sie damit? Hawthorn verdrängte die berauschende Wirkung ihrer Berührung, um die einzig vernünftige Lösung vorzuschlagen. „Natürlich übernehme ich diese Aufgabe. Zu Pferd bin ich schneller als Ihre Kutsche. Wenn nötig, reite ich querfeldein, um den Ausreißern den Weg abzuschneiden.“
Sie schien sein Angebot in Erwägung zu ziehen. Offenbar war ihr der Gedanke, dass er die Verfolgung übernehmen könnte, gar nicht in den Sinn gekommen, was seinem Stolz einen empfindlichen Schlag versetzte. Dennoch bemühte er sich darum, ihr seine Argumente sachlich zu erklären.
„Mir fällt es auch leichter, Erkundigungen bei Stallburschen, Zolleintreibern und anderen Leuten einzuholen als einer Dame.“
Ihr Entschluss geriet ins Wanken – das spürte Hawthorn. Er bezähmte seinen Wunsch, irgendeinen Unsinn zu stammeln, damit Felicity seine Hand noch eine Sekunde länger hielt.
„Und wenn ich die Ausreißer geschnappt habe …“ Er brachte sein stichhaltigstes Argument zur Sprache. „Habe ich als Vormund meiner Schwester die Macht, sie zu zwingen, mich wieder nach Bath zu begleiten. Diesen Einfluss haben Sie weder auf Ihren Neffen noch auf Ivy. Alle Gründe sprechen dafür, dass ich die Verfolgung aufnehme. Aber …“
„Aber?“
Er hätte sich lieber die Zunge abschneiden lassen, als ausgerechnet ihr dieses Geständnis machen zu müssen. Hitze stieg ihm in die Wangen, er ließ rasch die Hand mit der Kerze sinken, damit sie seine Verlegenheit nicht bemerkte.
„Bedauerlicherweise stehen mir nicht die Mittel zur Verfügung, um die Reise zu finanzieren.“ Während er dieses Geständnis hervorpresste, war Hawthorn unfähig, Felicity, einer der reichsten Frauen in England, ins Gesicht zu schauen.
Sie hatten nie über den enormen Unterschied ihrer Vermögensverhältnisse gesprochen, ihre Gespräche waren stets oberflächlich und seicht geblieben. Dennoch war ihr gewiss bekannt, dass seine Familie verarmt war.
Seine bescheidene Adresse in der Vorstadt am Fuße des Hügels sprach Bände, in einer Stadt, in der die Grundstückspreise durch die stetig steigende Einwohnerzahl immer weiter in die Höhe schossen. Seine Kleidung, obschon von bester Qualität, abgetragen und hoffnungslos altmodisch, ließ eindeutige Rückschlüsse auf seine finanzielle Situation zu. Er besaß nicht einmal eine eigene Kutsche und Pferde, was den Verdacht seiner Mittellosigkeit untermauerte.
Mit großer Wahrscheinlichkeit waren ihr seine Vermögensverhältnisse bereits bekannt gewesen, bevor sie ihm das skandalöse Angebot unterbreitet hatte, ihr Liebhaber zu werden. Ein wohlhabender Mann hätte möglicherweise daran Anstoß genommen.
Spuck es endlich aus, Mann!
„Mein Vater hinterließ bei seinem Tod vor einigen Jahren einen beträchtlichen Schuldenberg. Seither bemühe ich mich mit bescheidenem Erfolg, die Schulden zu begleichen, und habe die berechtigte Hoffnung, meiner Familie eines Ta ges wieder zu Wohlstand zu verhelfen.“
Er richtete seine Rede an den Türstock über Felicitys Kopf. „Im Augenblick fehlt es mir leider an Bargeld. Da wir beide daran interessiert sind, eine Ehe zwischen Ihrem Neffen und meiner Schwester zu verhindern, schlage ich ein gemeinsames Vorgehen vor. Wenn Sie das Vorhaben finanzieren, erspare ich Ihnen die
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