Entscheidung in Gretna Green
Er hatte Mühe, die formelle Anrede über die Lippen zu bringen, doch sein Argwohn verbot ihm, sie beim Vornamen zu nennen. „Schlagen Sie sich das bitte aus dem Kopf.“
Er versuchte, die Spannung zwischen ihnen zu mindern. „Ivy bat mich, Ihnen nachzureiten, wobei sie mir versicherte, die heutigen Vorfälle hätten sie ein für alle Mal von ihrem unseligen Hang geheilt, Ehen zu stiften. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich daran halten wird.“
Sein Versuch zu lachen war ein kläglicher Fehlschlag.
„Eine ausgesprochen großherzige Geste von Ihrer Schwester“, flüsterte Felicity, „sich um mein Wohl zu sorgen, nachdem ich ihr unterstellt habe, eine Mitgiftjägerin zu sein.“
Warum aber betrübte sie Ivys noble Geste, ihr zu verzeihen?
Sie seufzte tief. „Die Tatsache, dass sie meinen Neffen geheiratet hat, trotz meiner Drohung, ihn zu enterben, beweist die Aufrichtigkeit ihrer Gefühle. Es bedrückt mich sehr, dass ich die beiden beinahe um ihr Lebensglück gebracht habe.“
„Aber das ist nicht geschehen.“ Hawthorn sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen. Wenn er nur wüsste, ob sie es zuließe. „Auf Umwegen haben Sie den beiden vielleicht sogar einen Gefallen erwiesen. Ihr Neffe wird jedenfalls nie daran zweifeln, dass Ivys Liebe wirklich ihm gilt. Und sie wird ihn dafür umso mehr schätzen und lieben, weil er bereit war, ein sorgenfreies, von Reichtum gesegnetes Leben für sie aufzugeben.“
Traurig schüttelte Felicity den Kopf. „Ich wünschte, das wäre alles – nur ein harmloses Täuschungsmanöver wie das, das Sie sich damals ausdachten, um Ihre Schwester Rosemary und Mr. Temple von der Aufrichtigkeit ihrer Liebe zu überzeugen.“
Ein Gedanke schoss Hawthorn durch den Kopf. Er lächelte befreit.
„Wer sollte je erfahren, dass es nichts anderes war, wenn wir bei dieser Version blieben?“ Seine Überzeugung wuchs mit jedem seiner Worte. „Wir behaupten einfach, wir hätten uns und dem Brautpaar lediglich beweisen wollen, dass ih re Gefühle füreinander stark und aufrichtig sind.“
Aus tiefstem Herzen lachte er erleichtert auf. Aber als sie den Blick hob, erstickte der Schmerz, den er in ihren Augen las, sein Lachen.
Sie hob die Hand an ihre Lippen, um ihr Zittern zu verbergen. „Das würden Sie tun? Für mich?“
Er nickte. „Auch für Oliver und Ivy. Es ist mir lieber, die beiden halten Sie für eine glänzende Schauspielerin als …“
Hawthorn brachte es nicht über sich, den Satz zu Ende zu führen.
Zu seiner Verwunderung schreckte Felicity nicht vor der Wahrheit zurück. „… als unsere Beziehung damit zu vergiften, dass ich meinen Neffen für einen Narren und Ihre Schwester für eine Mitgiftjägerin gehalten habe.“
„Das wäre doch für alle Beteiligten das Beste, wie?“
Obwohl Trauer und Erschöpfung ihr bleiches Gesicht umschatteten, war Felicity ihm nie schöner erschienen. Schimmernd wallte ihre Haarfülle über das weiße Nachthemd. Ihre Augen glänzten geheimnisvoll unter halb verhangenen Lidern, und der wehmütige Zug um ihre Lippen verlockte ihn, sie mit einem Kuss zum Lächeln zu bringen.
Wie oft hatte er in den vergangenen Wochen das Bett mit ihr geteilt? Bei allen Freuden, die er in ihren Armen genossen hatte, war er stets im Zweifel darüber gewesen, ob er dieses Glück verdiente. Und dann hatte die Vorstellung, dass sie ihn für fähig hielt, mit seiner Schwester ein Komplott zu schmieden, um sie zur Heirat zu überlisten, ihm das Gefühl gegeben, besudelt zu sein.
Und dennoch …
Felicity blickte ihm in die Augen. „Ich habe nichts dazu beigetragen, um diese Hochherzigkeit zu verdienen, Sir.“
In ihrem Blick lag tiefe Dankbarkeit, als stehe sie hoch in seiner Schuld, die er ihr erlassen hatte.
Wer war nun reicher?
Felicity mit ihrem Vermögen und einem einsamen Leben? Oder er mit dem Reichtum der Liebe seiner Familie, die ihm täglich aufs Neue bewiesen wurde?
Allein das war ein guter Grund, sich ihr gegenüber groß mütig zu erweisen.
„Im Gegenteil, Lady Lyte.“ Hawthorn hielt ihr die Hand entgegen und bemühte sich, nicht zu zittern. „Sie haben mir die glücklichste Zeit meines Lebens beschert.“
Zaghaft schob sie ihre Hand auf der Bettdecke der seinen entgegen, zögerte, bevor sie ihr Ziel erreichte. „Es war mir ein Vergnügen. Ehrlich gestanden, bin ich der Meinung, Sie haben mir mehr gegeben als ich Ihnen“, hauchte sie.
Er berührte beinahe ihre Fingerspitzen. „Wenn ein Mann und eine Frau einander gerne etwas
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