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Entscheidung in Gretna Green

Entscheidung in Gretna Green

Titel: Entscheidung in Gretna Green Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DEBORAH HALE
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begleiten, mochte ihm diese Aufgabe noch so zuwider sein.
    „Ich hörte, du bist krank geworden.“ Es gelang ihm nicht, seine Besorgnis zu verbergen.
    „Es geht mir schon wieder besser“, antwortete sie und bemühte sich um einen leichten Ton. „Die Anstrengungen der langen Fahrt, sonst nichts.“
    Wenn sie mit der Wahrheit herausplatzte, dass sie sein Kind unter dem Herzen trug, würde er seine Pflicht tun, obwohl er ihr nicht verzeihen konnte, wie sie ihn behandelt hatte.
    Niemals würde sie ihn mit diesem Druckmittel zur Ehe zwingen. Genauso wenig wollte sie ihrem Kind zumuten, in einem Elternhaus aufzuwachsen, in dem verschleierte Feindseligkeit und Groll, vermischt mit Reue und hoffnungsloser Sehnsucht herrschten.
    Aber was wäre, wenn …?
    Gab es eine Möglichkeit für sie, Hawthorns Vergebung zu finden? Könnte sie die Liebe, die er für sie empfunden hatte, wieder zum Leben erwecken?
    „Was ist mit Oliver und Ivy?“, fragte sie, um vom Thema ihrer Unpässlichkeit abzulenken.
    Welche Ironie, dass diese Verbindung, die sie mit aller Macht versucht hatte, zu unterbinden, nun eine Brücke zwischen ihr und Hawthorn schlagen könnte.
    „Seit ein paar Stunden sind die beiden Mann und Frau.“
    Die Spannung wich ein wenig aus seinen markanten Gesichtszügen, und wieder glomm ein Funke Hoffnung in Felicity auf.
    „Wenigstens habe ich durchgesetzt, dass sie sich von einem Geistlichen trauen ließen.“
    „Dafür danke ich dir.“ Felicity brachte nur ein Flüstern hervor. Oliver hatte geheiratet, und sie war nicht dabei gewesen – wegen ihres Starrsinns und ihrer Selbstsucht.
    Hawthorn trat einen zögernden Schritt näher, als geschehe es gegen seinen Willen. „So schwer das für dich auch zu begreifen sein mag, Oliver liebt meine Schwester tatsächlich. Und sie liebt ihn. Zweifellos werden die beiden im ersten Ehejahr gelegentlich aneinandergeraten …“
    Er legte eine Pause ein. „Aber mit dem Rückhalt ihrer Familie werden sie diese Stürme unbeschadet überstehen …“
    Hörte sie einen fragenden Unterton, als er vom Rückhalt der Familie sprach? Oder vernahm sie nur das Echo ihres eigenen Wunsches?
    „Ich werde meinen Neffen nicht enterben.“ Langsam setzte sie sich auf. „Es war niederträchtig von mir, ihm damit zu drohen.“
    Er widersprach ihr nicht.
    „Ich entsinne mich, wie sehr ich es hasste, von den Menschen unterdrückt zu werden, die Macht über mich hatten“, fuhr Felicity fort. „Heute versuchte ich, Oliver zu erpressen – mit seinem Erbe und seiner Bindung an mich –, um ihm meinen Willen aufzuzwingen.“
    Gottlob hatte sie alle Tränen während der langen Fahrt vergossen. Wenn sie jetzt in Hawthorns Gegenwart weinte, vermutlich würde sie sein weiches Herz zum Schmelzen bringen. Aber sie wollte ihn nicht durch Mitleid zurückgewinnen.
    „Ich schäme mich entsetzlich für mein Benehmen. Ich weiß nicht, ob ich es je wieder ertrage, mein Gesicht im Spiegel zu sehen.“ Sie ließ den Kopf hängen.
    Leise Schritte ließen sie den Blick wieder heben. Er war noch näher ans Bett getreten. Wenn sie den Arm ausstreckte, könnte sie seinen Frack berühren.
    Während er in die Hocke ging, hielt Felicity den Atem an. In ihrem Herzen betete sie inständig zu Gott, dem sie bislang nur Lippenbekenntnisse abgelegt hatte. Zu einem Gott, der ihr in ihrer Kindheit als strafende Allmacht vorgehalten worden war.
    Die Schatten waren länger geworden in der Abenddämmerung. Aus der Ferne drangen Geräusche herein: Pferde, die in den Stall gebracht, Gepäck, das entladen wurde, gemischt mit dem gedämpften Stimmengewirr der Gäste in der Schankstube. In der Kammer lag eine erwartungsvolle Stille, in der Felicity nur das bange Klopfen ihres Herzens hörte.
    Wenn sie jetzt den Arm ausstreckte, könnten ihre Finger seinen Bart streifen.
    Während sie darum kämpfte, der Versuchung nicht zu erliegen, ihn zu berühren, sprudelten die Worte aus ihr heraus: „Ich weiß nicht, wem ich heute mehr Unrecht getan habe – dir, Oliver oder Ivy. Ihr müsst mich alle hassen. Und ich kann es euch nicht verdenken. Ich finde mich selbst unerträglich.“
    Und dann entschlüpfte ihr ungebeten eine Frage, nicht an ihn gerichtet, sondern an sich selbst. „Ob ich mich je erträglich fand?“
    Hawthorn sammelte sich. Er musste einen Schutzwall um sein Herz errichten, denn er spürte, wie eine mächtige Flutwelle sich in ihm auftürmte, die drohte, über ihn hereinzubrechen.
    „Niemand von uns hasst Sie, Lady Lyte.“

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