Entsorgt: Thriller (German Edition)
gestoßen. Der Hof, verborgen im Zentrum des Anwesens, war so heruntergekommen, dass er bereits Teil der Landschaft geworden war. Hier im Landesinneren bestand das Land aus hohen, steilen Hügeln und sanften, dicht bewaldeten Tälern, die so zugewuchert waren, dass man den Eindruck hatte, sie wären seit Jahrhunderten von keiner Menschenseele mehr betreten worden. Unterhalb der Wälder fiel es sanft zum Meer hin ab.
Er parkte neben dem verrosteten Skelett eines Traktors. Als er an die Tür klopfte, öffnete ihm eine bucklige Alte, und das Farmhaus verströmte den Brodem menschlichen Zerfalls. Er wich einen Schritt zurück. Die Frau überließ es ihm zu sprechen.
»Ich würde mein Wohnmobil gerne auf Ihrem Land parken.«
»Hier ist Camping verboten.«
»Ich habe nicht vor zu campen.«
»So? Und wie würden Sie das nennen?«
»Ich suche bloß etwas … meine Ruhe … für eine Weile.«
»Was soll das bedeuten, für eine Weile?«, fragte sie.
»Ich weiß es noch nicht. Ich bezahle dafür. Ich habe Geld dabei.«
Die Alte musterte ihn nun eingehender. Sein ungewöhnlich langer Bart und die gelblichen Zähne waren nicht dem Alter, sondern Vernachlässigung geschuldet. Sie sah, wie tief seine Augen in den Höhlen lagen und wie sich seine Haut über den Knochen spannte. Ihr fiel seine Haltung auf. Sie kannte sich wohl eher mit Tieren aus, nicht mit Menschen, aber sie musste bemerkt haben, dass er eine Last mit sich herumschleppte. Er empfand es als unbehaglich, so von ihr gemustert zu werden.
»Sie haben irgendwo was verbrochen, stimmt’s? Sind sie Ihnen auf den Fersen? Wir können gut darauf verzichten, dass Sie Ihre Probleme mit hierherbringen.«
»Ich habe nichts Unrechtes getan«, erwiderte er. Es gelang ihm, ihr in die Augen zu blicken, während er sprach.
Die gebückte, alte Frau hatte ihre ohnehin schon blutleeren Lippen aufeinandergepresst, als würde sie um eine Entscheidung ringen.
»Mein Mann ist krank. Ich kann nicht noch mehr Schwierigkeiten gebrauchen.«
»Ich habe keine Schwierigkeiten. Ich will nur meine Ruhe. Brauche bloß etwas Zeit.«
»Ich muss ihn erst fragen.«
Sie schloss die Tür, und er konnte hören, wie sie durch einen, wie er es sich vorstellte, dunklen und klaustrophobischen Gang davonschlurfte. Dann herrschte Stille.
Mason drehte sich um, betrachtete die Hügel und die aus den grob behauenen Steinen dieser Hügel errichteten Trockenmauern. Überall ragten zerfallene Zäune mit aus verrottenden Pfosten gerissenem Stacheldraht auf. Das Farmhaus war dem Zerfall nahe. Ziegel fehlten auf dem Dach. Auf den abschüssigen Wiesen weideten Schafe. Ihre Hinterteile waren kotverschmiert, und die Fußfäule ließ viele von ihnen humpeln. Auf einer weiter entfernten Hügelkuppe sah er grauschnäbelige Krähen am zerfetzten Kadaver eines Bocks herumpicken. Es begann zu regnen. Anfangs war es noch ein leichtes Nieseln, das er als erfrischend empfand. Dann wurde der Regen dichter und heftiger. Das Wasser tropfte von seinem ungewaschenen Haar in seinen Kragen und lief seinen Hals hinab. Er rettete sich unter das baufällige Vordach ins Trockene, aber der Wind frischte auf und wehte den Regen von der Seite zu ihm herein. Er lief zurück zu seinem winzigen Campingbus und setzte sich auf den Fahrersitz. Durch die Frontscheibe beobachtete er, wie der Regen die Landschaft verzerrte, und dachte darüber nach, dass seine Sicht der Dinge niemals etwas an ihrem wahren Wesen änderte.
Er schlief ein.
Als ihn ein Hämmern weckte, das sich anhörte, als wäre es hart genug, das Seitenfenster einzuschlagen, regnete es immer noch. Der Schock ließ sein Herz galoppieren, und er rang nach Atem. Das Gesicht der Frau war vom Regen verschmiert und deformiert. Es ängstigte ihn, als es so plötzlich neben ihm auftauchte. Sie hielt ihren Schäferstab in der Hand. Für ihn sah er aus wie ein schwarzer Eisenhaken. Der Regen trommelte laut und heftig gegen Wagendach und Windschutzscheibe. Obwohl sie bemerkt haben musste, dass er wach war, schlug sie erneut gegen das Glas. Er riss sich zusammen und öffnete die Tür.
»Sie sollen hereinkommen«, sagte sie, als würde ihr der Regen nichts ausmachen. »Er möchte Sie sehen. Ihnen ins Gesicht sehen.«
»Solltest du nicht Vokabeln lernen?«
»Verpiss dich, du Hirni.«
Donald Smithfield stand auf der Türschwelle zum Zimmer seiner Schwester. Aggie bemühte sich so sehr, eine Frau zu sein, aber sie war noch immer ein Mädchen. Obwohl er erst fünfzehn war, wusste er
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