Entsorgt: Thriller (German Edition)
spärlichen Pigmente in diesem Raum verrieten es kaum als solches. Die Wände waren nahezu grau, das Mobiliar so verblichen, dass es genauso gut Holzkohle oder Asche hätte sein können. Das Holz war dunkel genug, um auf den ersten Blick schwarz zu erscheinen, und selbst das Gesicht auf dem Foto schien jeglichen Anstrich von Leben verloren zu haben.
Der Mann saß in einem Lehnstuhl, so alt wie er selbst, wenn nicht sogar älter. Das Sitzmöbel schien sich über die Jahre der Kontur seines maladen Körpers angepasst zu haben. Seine Hände umklammerten die Armlehnen, und die Venen traten wie Kabel hervor. Es war nicht Mason, den er ansah, er starrte aus dem Fenster auf eine Landschaft, die ihm vertrauter sein musste als die Konturen seines eigenen knorrigen Körpers. Das graue Haar des Mannes war dünn, aber lang und wie von einem unsichtbaren Wind nach hinten gestrichen. Es sah aus, als wäre sein Stuhl eine Flugmaschine und er der Pilot. Das Gesicht des Mannes war nur im Profil zu sehen. Aber selbst so hätte jeder Betrachter dieses Bildes erkannt, dass das, was dieser Mann sah, jenseits dessen lag, was das normale menschliche Auge zu sehen vermochte. Er blickte hinaus auf die Landschaft, von der im Bild nur ein Ausschnitt zu sehen war. Doch er sah mehr, als alle anderen sehen konnten. Er blickte dahinter.
Das war es. Ein alter Mann. Ein sterbender Mann, wie sich herausstellte, die Knie in eine verschlissene Decke gewickelt, die Finger klauengleich in die abgenutzten Polster gebohrt, in einem Zimmer eines bröckelnden Farmhauses sitzend, das sich ins Herz der Hügellandschaft duckte. Es war nichts Besonderes. Es war nicht wie die Fotos, die er in London gemacht hatte. Kritiker hätten es vermutlich nicht verstanden, und wenn sie es doch getan hätten, wären sie wohl kaum gewillt gewesen, Mason dafür übermäßig viel Lob zu spenden. Es war zu simpel. Zu ungewohnt. Zu real.
Es war womöglich das einzige Foto, das er jemals gemacht hatte, welches einen wirklichen Wert hatte. Und dieser Wert war nicht mit Geld zu bemessen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte er seit fast einem Jahr in den Wäldern rund anderthalb Kilometer vom Farmhaus entfernt gelebt.
Richard Smithfield hatte Schwierigkeiten zu atmen. Die Probleme hatten begonnen, als er begriff, dass die Beweise auf seinem Rechner ausreichten, sein Leben zu zerstören.
Leicht keuchend stand er an seiner Werkbank hinten in der Garage, in der Kälte, und schaffte es nicht, seine Lungen zu füllen. In der Küche gab Pamela ihr Bestes, ein schmackhaftes Abendessen für die Familie zuzubereiten. Wobei ihr Scheitern völlig außer Zweifel stand. Aggie inspizierte sich vermutlich im Spiegel oder chattete mit ihrer Freundin über Gott weiß was. Donald würde, wenn er auch nur annähernd etwas mit einem normalen Fünfzehnjährigen gemeinsam hatte, in seinem Zimmer sitzen und sich um den Verstand wichsen.
Er seufzte im Dunkel und knipste die fluoreszierende Neonröhre über der Werkbank an. Sie beleuchtete einen flachen, grauen Metallkasten, der schwer in seiner Hand lag. Er enthielt das Gewicht seiner Geheimnisse. Und er war so konstruiert, dass er Schläge, Zusammenstöße und sonstige Unfälle überstand.
Dies würde kein Unfall werden.
Geduldig knibbelte Richard Smithfield die metallisch glänzenden Aufkleber ab, die das Produkt identifizierten, und legte sie beiseite. Unter Zuhilfenahme diverser unterschiedlich großer Schraubenzieher öffnete er die beiden Hälften des massiven Gehäuses. Über die Discs der Festplatte war eine weitere Metallplatte genietet. Es war unmöglich, sie gewaltlos zu entfernen. Als er den Hebel ansetzte, brachen erst ein paar kleine Stahlstücke ab, bevor die Platte sich löste.
Dort drinnen, makellos und selbst von kleinsten Staubkörnchen unberührt, lagen fünf kobaltlegierte Discs. Trotz ihrer blauen Farbe waren sie spiegelblank. Aus bestimmten Blickwinkeln schimmerten sie wie ein Regenbogen. Er entfernte die Stahlspindel, welche die Datenträger fixierte, und nahm sie heraus. Schwer vorstellbar, dass auf diesen wundervoll schlicht aussehenden Komponenten eine solche Menge an Informationen gespeichert werden konnte. Schwer vorstellbar, dass derlei technische Gerätschaften genug Informationen enthielten, um ihn ins Gefängnis zu bringen und zu einem Leben als Paria zu verdammen.
Aber genauso war es, und deshalb würden sie verschwinden müssen.
Er legte die Discs auf einen großen alten Lappen und faltete diesen mehrfach
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