Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
los in eine Richtung und zog David dabei wieder hinter mir her.
Ich musste Menschen finden.
Schnellen Schrittes lief ich bis zur nächsten Straßenkreuzung, sah mich suchend um und entdeckte zu meiner großen Erleichterung eine Leuchtreklame für eine Kneipe. Ich zog David entschlossen darauf zu, betete stumm, dass sie noch geöffnet hatte und hörte ein ganzes Gebirge in meinem Inneren vor Erleichterung in sich zusammenzustürzen, als die Tür sich tatsächlich mit einem lauten Quietschen öffnen ließ und wir in einen schummrigen, kleinen Raum traten, in dem es nach Alkohol und nicht näher zu definierenden Ausdünstungen roch.
Das war nicht gerade d ie Bar des Georges V und leider war auch kein Hochbetrieb, es saß gerade mal ein einziger Mann am Bartresen, aber ich hatte wohl kaum die Zeit, wählerisch zu sein.
Ich zog den immer noch willenlos wirkenden David hinter mir her zum Tresen, hinter dem ein nicht minder vertrauenerweckender Barkeeper uns skeptisch beäugte, und schubste David beinah aggressiv auf den Barhocker neben dem einzigen Gast, der bei genauerer Betrachtung alles andere als geeignet für diese Mission erschien, weil er düster in sein Bierglas vor sich starrte, doch ich hatte keine Wahl. Was Besseres konnte ich David auf die Schnelle wohl nicht bieten. Ich konnte nur hoffen, dass der Typ nicht schon völlig im Alkoholdelirium versunken war und wenigstens noch ein paar klare Gedanken fassen konnte. Wenn nicht, dann war da ja immer noch der Barkeeper. Der zumindest sah nüchtern aus, wenn auch nicht besonders zugänglich.
Er musterte mich argwöhnisch, als würde er sich überlegen, uns rauszuwerfen aus seinem edlen Etablissement. Ich setzte mich auf den Barhocker neben David, der sich - wahrscheinlich eher vor Erschöpfung als auf Grund meiner Anordnung - tatsächlich neben den düster dreinblickenden Kerl gesetzt hatte, und sah den Barkeeper herausfordernd an.
„Zwei Wasser, bitte.“
Der Barkeeper zog pikiert eine gepiercte Augenbraue hoch und sah mich einen langen Moment misstrauisch an, doch da ich seinem Blick standhielt – heute konnte mir keiner mehr blöd kommen, nach dem, was ich die letzten zwei Tage erlebt hatte - wandte er sich schließlich von mir ab und servierte mir und David kommentarlos ein Glas Wasser.
Ich trank es in einem Zug leer und musterte dann David neben mir, der völlig apathisch dasaß, die Augen geschlossen hatte und völlig abwesend wirkte. Obwohl er vorhin bei der Konfrontation mit Flavius so wach gewirkt hatte, seine Augen waren beinahe klar gewesen, doch nun schien er wieder völlig weggetreten zu sein.
Mich beschlich die Angst, dass es vielleicht doch bereits zu spät war. Dass er die Fähigkeit, die Gedanken eines Menschen zu lesen, bereits verloren hatte. Dass er vorhin seine letzten Reserven mobilisiert hatte, um Flavius entgegenzutreten, nun aber dem Ende nahe war.
Verzweifelt rief ich ihn in Gedanken an, schickte ihm sogar per Gedankenbefehl die eindringliche Aufforderung, die Gedanken der beiden anwesenden Menschen zu lesen, und suchte dann sowohl in seinem Antlitz als auch in seinen Gedanken nach Zeichen einer Reaktion, doch da war nichts. Nur Stille und Starre. Und das Gefühl, nicht in seinen Kopf eindringen zu können. Eigentlich sogar, abgewiesen zu werden, doch da David völlig bewegungslos und zusammengesunken auf seinem Barhocker saß und wirkte, als wäre er in eine andere Welt abgedriftet, tat ich das als einen falschen Eindruck ab.
Ich verlor jeglichen Mut und sank ebenfalls auf meinem Hocker zusammen. Ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft! Obwohl David vor ein paar Minuten wach und eigentlich auch stark gewirkt hatte, war es anscheinend zu spät. Er hatte den Kampf verloren. Er würde sterben!
Ei n verzweifeltes, lautloses Schluchzen entwich mir. Es war meine Schuld! David würde wegen mir sterben! Wie hatte ich es nur soweit kommen lassen können? Er hatte wegen meinem Sturkopf und meinem Misstrauen ihm gegenüber seine Fähigkeiten verloren und war nun dem Tode geweiht. Und das nur weil ich ihm beweisen wollte, dass ich ihn nicht brauchte, dass ich ohne ihn zurechtkam. Und weil ich ihm zeigen wollte, dass er mir nichts bedeutete.
Was absoluter Quatsch war. Denn er bedeutete mir sehr wohl etwas. Mehr als ich mir eingestehen wollte. Doch nun war es zu spät. Er würde mich hassen. Und das zu Recht. Ich war wirklich ein Monster. Das würde ich mir nie verzeihen.
Ich legte meine Arme vor mir auf die versiffte Theke und ließ
Weitere Kostenlose Bücher