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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erscheinende System ein. Von hier aus betrachtet wirkte selbst der Zaun nicht mehr wie eine Grenze, sondern wie eine natürliche Ergänzung der Stadt, ein Teil eines gewaltigen Musters, das so und nicht anders sein konnte.
    Sie erreichten den Fuß der Rampe und wandten sich nach rechts, tiefer in den Wald hinein. Zwischen den weit auseinanderstehenden Stämmen herrschte reges Leben, wie schon am Tage zuvor, und wie beim ersten Mal konnte sich Skar des unangenehmen Gefühles, angestarrt zu werden, nicht erwehren. Natürlich —er war ein Fremder, und zwischen den kleinwüchsigen Bewohnern Wents mußte seine breitschultrige und muskulöse Gestalt erst recht auffallen, aber es war doch ein unangenehmes Gefühl, aus Hunderten von neugierigen Augenpaaren angestarrt zu werden. Zumal, da er immer noch nicht wußte, ob diese Augen nun wirklich nur neugierig oder aber feindlich auf ihn hinabsahen.
    Thoranda blieb plötzlich stehen und deutete auf eine Gruppe jüngerer Frauen, die wenige Schritte abseits des Weges standen, miteinander redeten und ab und zu einen neugierigen Blick in seine Richtung warfen. »Warte einen Moment, Skar«, sagte sie. »Ich habe etwas mit ihnen zu besprechen. Es dauert nicht lange. Geh nicht weg.«
    Skar nickte gehorsam, wenn es ihm auch immer schwerer fiel, nicht zu widersprechen. Er begann sich allmählich wie ein Kind zu fühlen, das an einem unsichtbaren Gängelband herumgeführt wurde und dem jeder sagen zu müssen glaubte, was es zu tun oder zu lassen hatte, und er war sich mit einemmal sicher, daß ihn Thoranda nicht allein aus Furcht, daß er sich verirren könnte, begleitete. Trotzdem war es sicher besser, sich nach ihren Anordnungen zu richten. Zumindest, dachte er spöttisch, war die Heilerin als Wächter so manch anderem, den er kennengelernt hatte, vorzuziehen.
    Eine Gruppe Berittener preschte so dicht an ihm vorüber, daß er unwillkürlich den Kopf einzog und einen Schritt zur Seite wich — sieben, acht Mann auf stämmigen Pferden, in wuchtige Panzer gehüllt und mit Schilden und übermäßig langen, biegsamen Spießen bewaffnet. Skar blickte ihnen nach, bis sie durch die Öffnung in der äußeren Dornenhecke verschwunden waren. Ein Trompetensignal erscholl von einem der Wachtürme und wurde wenig später von irgendwo jenseits der Hecke erwidert. Die Reiter schienen ihre Tiere rücksichtslos durch das Unterholz zu treiben, denn Skar konnte das gedämpfte Brechen und Bersten noch lange Zeit hören, nachdem sie durch das Tor verschwunden waren. Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zum Himmel hinauf. Die 'Sonne brannte noch immer als grellroter Feuerball an einem strahlend blauen, wolkenlosen Firmament, und die Hitze stieg hier, wo die Bäume nur wenig Schutz gegen ihre unbarmherzigen Strahlen boten, merklich an. Weit im Westen glaubte er eine Anzahl winziger schwarzer Punkte über dem Wald auszumachen, und für einen Moment mußte er wieder an die Hoger denken. Aber es mochten auch normale Vögel sein; sicher sogar. Skar konnte sich nicht vorstellen, daß die Bestien auch am Tage auf Beutejagd gingen. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht einmal die Hoger wirklich vorstellen. Die dünne rote Narbe an seiner Seite und der pochende Schmerz, der entgegen all seiner Beteuerungen noch immer in seinen Rippen wühlte, bewiesen ihm jedoch, daß er alles wirklich erlebt und nicht bloß geträumt hatte. Und doch erschienen ihm der Kampf auf der Lichtung und der Tod der beiden jungen Mädchen mehr und mehr wie ein bizarrer Alpdruck. Irgend etwas daran kam ihm falsch und irreal vor, schon während des Kampfes und jetzt, aus der Distanz von mehreren Tagen betrachtet, noch stärker. Es war nicht einmal die Größe der Gefahr gewesen — Del und er hatten schon gegen schlimmere Bestien bestehen müssen —, sondern die Art der Bedrohung. Er kannte alle Monster, die Enwor zu bieten hatte, und es waren Scheußlichkeiten darunter, gegen die selbst die Hoger wie harmlose Vögel erschienen, und doch war da etwas, irgend etwas, das er sich selbst nicht erklären konnte und das doch wie ein bizarrer Alp hinter seinen Gedanken lauerte — das ihn schaudern ließ. Die Hoger erschienen ihm (er wußte, daß das Wort nichts erklärte und im Gegenteil noch mehr Fragen aufwarf, und doch war es das einzig Zutreffende) falsch. Er hatte es gespürt, als er ihnen gegenübergestanden hatte, und das Gefühl war seither nicht schwächer geworden. Als er in die gräßliche Visage des Untieres gesehen

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