Enwor 1 - Der wandernde Wald
gähnte ungeniert. Seine Glieder fühlten sich seltsam an — taub und gleichzeitig leicht und matt, und es fiel ihm schwer, seine Bewegungen zu koordinieren. Er ballte prüfend die Fäuste, aber die Bewegung war ohne Kraft; vielleicht eine Nachwirkung des Trankes, den ihm Thoranda eingeflößt hatte. Er würde die Heilerin danach fragen.
Durch die dünnen geflochtenen Wände drangen gedämpfte Geräusche zu ihm herauf; Stimmen, Gelächter und das harte Stampfen von Pferdehufen, und das schmale Fenster direkt über dem Kopfende seines Lagers war von flirrendem Sonnenlicht erfüllt. Er setzte sich vollends auf und blieb so lange reglos sitzen, bis das Schwindelgefühl in seinem Kopf nachließ. Danach vermied er rasche Bewegungen, so gut es ging.
Der Ausblick aus dem Fenster war faszinierend, aber nicht sonderlich aufschlußreich. Seine Kammer mußte sich in der obersten Etage des Baumhauses befinden — direkt unter der Stelle, an der sich der mächtige Stamm gabelte und allmählich in das dichte Blätterdach Wents überging. Eine schmale, geländerlose Brücke führte fast auf Armeslänge am Fenster vorbei, und tief unter sich am Boden erkannte er winzige, braun und grün gekleidete Menschen, die mit der Emsigkeit von Ameisen hin- und herzueilen schienen. Skar wandte sich enttäuscht vom Fenster weg und bückte sich nach seinen Kleidern. Er konnte sich nicht erinnern, sie ausgezogen zu haben. Trotzdem war er nackt gewesen, als er aufgewacht war. Aber er hatte ohnehin nur Lendenschurz, Sandalen und Waffengurt getragen. Er band Schurz und Waffengurt um, schnürte mit zitternden Fingern seine Sandalen und wog die leere Schwertscheide sekundenlang unentschlossen in der Hand, ehe er sie mit einem Achselzucken am Gürtel befestigte. Bevor er die Kammer verließ, trat er noch einmal zum Fenster und blickte in den Himmel hinauf. Die Sonne stand nahezu im Zenit. Mittag. Er hatte also nicht allzulange geschlafen. Trotzdem hatte die Ruhe seinem Körper sichtlich wohlgetan. Trotz der Mattigkeit, die noch immer von seinen Gliedern Besitz hatte, fühlte er sich frisch und ausgeruht. Er wandte sich um, trat mit gesenktem Kopf auf den Gang hinaus und wandte sich nach rechts, um auf dem gleichen Weg wieder hinunterzugehen, auf dem er heraufgekommen war.
Das Haus schien verlassen. Der große Raum, an dem er am Morgen Larynn und die Heilerin getroffen hatte, war leer, und als er stehenblieb und lauschte, hörte er nicht das geringste Geräusch, sah er von seinen eigenen Atemzügen und dem leisen Wispern und Knacken des Gebäudes ab. Er drehte sich noch einmal um seine Achse und besah sich die Einrichtung des Raumes genauer. Das Zimmer war leer bis auf einige niedrige Bänke an den Wänden und eine schwere Truhe mit eisernen Beschlägen. Skar ging zum Ausgang, lugte den Gang hinunter und lauschte wieder. Das Gebäude schien tatsächlich verlassen zu sein; etwas, das ihm —trotz der freundlichen Art, in der man Del und ihn aufgenommen hatte — doch recht verwunderlich erschien.
Skar schob den Gedanken mit einem Achselzucken beiseite und ging mit raschen Schritten auf den Ausgang zu. Niemand hatte ihm verboten, das Haus zu verlassen, und er gewann nichts, wenn er hier herumstand und tatenlos wartete, daß irgend etwas geschah.
Eine Gruppe von Reitern bewegte sich unter ihm auf das Tor zu. Sie waren nicht gepanzert wie Coars oder Bernecs Leute, sondern in fließende grüne und braune Gewänder gehüllt, und die Packtaschen ihrer Pferde quollen über von Werkzeug und etwas, das auf die Entfernung wie dürres Reisig aussah. Skar versuchte, mehr Einzelheiten zu erkennen, aber er war zu weit entfernt und die Reiter zu schnell fort.
Eine gebückte, in ein knöchellanges graues Gewand gekleidete Gestalt kam ihm entgegen, als er aus der Tür trat und die schräge Rampe hinunterzugehen begann. Er blieb stehen, rieb sich verlegen das Kinn und lächelte schuldbewußt, als er den vorwurfsvollen Ausdruck auf Thorandas Gesicht gewahrte. »Ich…«,begann er unsicher, »bin aufgewacht, und es war niemand da, und…«
»Du solltest noch nicht aufstehen«, unterbrach ihn die Heilerin kopfschüttelnd. »Du brauchst noch Ruhe. Ruhe und Schlaf.«
Skar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es geht mir gut«, sagte er. »Die Wunde schmerzt nicht mehr, und ich fühle mich kräftig und ausgeruht. Es ist nicht meine Art, tatenlos herumzuliegen.«
Thoranda seufzte in einer Art, als hätte sie es mit einem störrischen Kind zu tun, schüttelte
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