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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Türme, und die Wüste, die das Land umgab, gewährte ihm zusätzlichen Schutz. Doch diese Sicherheit erwies sich schließlich als Fluch. Unsere Vorfahren wurden leichtsinnig, und sie begriffen zu spät, daß Neid und Habgier anderenorts ebenso zum Wesen des Menschen gehörten wie hier Liebe und Freundlichkeit. Die Kunde vom Reichtum Urcs sprach sich herum, und eines Tages erschien eine Flotte von mächtigen Schiffen vor seiner Küste, Schiffe,-die Krieger brachten, denen die friedlichen Bewohner Urcs nichts entgegenzusetzen hatten. Krieg und Terror überzogen das Land, wo früher Frieden und Liebe geherrscht hatten. Unser Volk war es nicht gewohnt zu kämpfen, und die schwarzen Horden verwüsteten Urc, ohne daß wir sie aufhalten konnten. Schließlich blieb nur noch Urceun, die letzte Feste, die den wenigen Überlebenden Schutz bot.«
    Sie hatten den Fuß der Rampe erreicht, und Coar stockte für einen Moment, ehe sie sich nach rechts wandte, Skars Hand losließ und sich bei ihm unterhakte. Ihr Kopf schmiegte sich warm und weich an seine Schulter, und von ihrem Haar stieg ein betörender Duft in seine Nase.
    »Doch selbst Urcöuns Mauern konnten dem Ansturm des Feindes nicht standhalten«, fuhr sie nach einer Weile fort. Sie hatte eine angenehme Art zu erzählen, fand Skar. Leise und ruhig, die Stimme ein sanfter Singsang, der mit seiner Betonung ebensoviel erzählte wie die Worte. Er hörte ihr gerne zu. »Seine Bewohner wagten einen letzten, verzweifelten Ausbruch. Nicht viele überlebten die Schlacht, in der sich in jener Nacht das Schicksal unseres Volkes auf Generationen hinaus entschied, und die wenigen, die davonkamen, mußten fliehen, verfolgt von einem Feind, der kein Erbarmen kannte. Sie flohen in die einzige Richtung, die ihnen blieb.«
    »Hierher?«
    Coar schüttelte den Kopf. »Cearn existierte damals noch nicht. Nicht in der Form, in der du es kennst. Sie flohen in die Wüste, den sicheren Tod vor Augen. Viele fielen unter den Pfeilen der Verfolger, und noch mehr starben unter der tödlichen Glut der Sonne. Von einem Volk, das nach Hunderttausenden zählte, erreichte nicht mehr als eine Handvoll die rettende Oase.
    Aber sie schworen Rache. Niemals, niemals würden sie vergessen, wie es war, wie unbarmherzig der Feind sie überfallen und unter ihnen gewütet hatte, ihre Väter und Mütter und Brüder und Schwestern getötet und die fruchtbaren Ebenen Urcs verheert hatte. Sie waren nur wenige, aber sie waren beseelt vom Feuer der Rache. Sie fanden den Wald, und sie schworen, eines Tages zurückzukehren und Urc zurückzuerobern. So wurden wir ein Volk von Kriegern, Skar. Went mag dir friedlich erscheinen, aber es ist eine Festung. Schon unsere Kinder lernen den Umgang mit Waffen, und wenn wir eines Tages wieder vor den Toren Urcöuns stehen, werden wir kein Haufen wehrloser Bauern mehr sein, sondern Krieger.« Skar schwieg lange, lange Zeit, nachdem Coar mit ihrer Geschichte zu Ende gekommen war. Sie hatten sich weit von Thorandas Haus entfernt, und die moosbewachsenen Stämme Wents umgaben sie wie Säulen einer gigantischen schweigenden Kathedrale, deren Kuppel vom flackernden Grau der hereinbrechenden Dämmerung gebildet wurde. Die Stille fiel ihm auf. Die Häuser neben und über ihnen schienen wie ausgestorben dazuliegen, und obwohl er angestrengt lauschte, konte er nicht den leisesten menschlichen Laut wahrnehmen. Hinter keinem der Fenster brannte Licht, und für einen Moment fühlte er stärker denn je, daß er in Wirklichkeit nicht mehr als ein Eindringling war, ein Fremder, der sicher freundlich aufgenommen worden war, aber stets ein Fremder bleiben würde. Zwischen ihm und diesen Menschen bestand ein Graben, eine unsichtbare Mauer, die er niemals ganz würde durchdringen können. Es waren zwei verschiedene Welten, seine und ihre, und es gab keine Berührungspunkte, keine Brücken, die von einer zur anderen führten.
    »Eine schöne Geschichte«, sagte er. »Schön und traurig, aber doch nicht mehr als eine Geschichte.«
    Coars Kopf löste sich von seiner Schulter. »Du glaubst sie nicht?«
    Skar lächelte. »Doch. Das heißt — ja und nein. Alte Geschichten sind selten ganz wahr, ebenso wie sie selten ganz erlogen sind. Und ich habe die Erfahrung gemacht, daß jedes Volk seine Vision vom Paradies hat. Und ihr seid kein Volk von Kriegern.«
    Seine Worte schienen Coar zu verletzen. Sie ließ seinen Arm los, trat einen Schritt zur Seite und sah ihn erschrocken an.
    Skar hatte plötzlich das

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