Enwor 1 - Der wandernde Wald
vorhandenen Platzes beanspruchen. Wie bereits in den übrigen Gebäuden, die er gesehen hatte; war die Einrichtung sparsam und auf das Allernotwendigste beschränkt. Die Cearner schienen nicht viel Wert auf materiellen Besitz zu legen. Es gab weder Tische noch Stühle, sondern nur zwei flache Truhen, die offenbar zur Aufbewahrung von Kleidern dienten, sowie ein knapp mannshohes, aus Bast geflochtenes Regal, in dem eine Anzahl tönerner Krüge und Becher, dazu einfaches Geschirr aus Holz und Steingut standen. Von der Decke hing eine Öllampe in Form einer Taube mit weit geöffnetem Schnabel. Eine Anzahl grob gewobener Kissen aus bunten Stoffen war in loser Unordnung auf dem Boden verteilt, und in einer Ecke gab es ein einfaches Lager aus Bastmatten und Fellen — und Lederdecken.
Skar ging mit einem Achselzucken zur Bettstelle hinüber und ließ sich darauf nieder. Die unbequem anmutende Anhäufung von Kissen und Decken erwies sich als überraschend weich, und für einen Moment mußte er mit aller Macht gegen das plötzliche Verlangen ankämpfen, sich einfach zurücksinken zu lassen und die Augen zu schließen.
Er reckte sich, gähnte ungeniert und fuhr sich erneut mit der Hand über die Augen. Coar hantierte irgendwo im Nebenraum mit Töpfen und Geschirr. Er hörte ein leises Klirren, dann ein Geräusch, als würde Flüssigkeit von einem Behälter in einen anderen umgefüllt. Die Geräusche erfüllten ihn auf eine seltsame, sanfte Art mit Wohlbehagen. Es war etwas, was er noch nie kennengelernt hatte —irgendwo zu sein, einfach dazusitzen und zu lauschen, wie eine Frau im Nebenzimmer das Essen vorbereitete oder sonst eine häusliche Tätigkeit verrichtete, zu Hause zu sein. Irgend etwas schien sich in ihm zu verändern, seit er Cearn betreten und dieses seltsame Volk getroffen hatte, fast als hätte die Begegnung mit den Cearnern — und vor allem, wie er sich eingestand, mit Coar — das Tor zu einem Bereich seiner Seele aufgestoßen, von dem er bisher nicht einmal gewußt hatte, daß es ihn gab. Vielleicht lag es an der Form dieses Raumes, an der lebenden, atmenden Materie, aus dem er gefertigt war, vielleicht auch nur an seiner Müdigkeit, aber mit einem Male hatte er das Gefühl, schon eine Ewigkeit hier zu sein, jeden Quadratzentimeter seiner Umgebung genau zu kennen. Er fühlte sich sicher und geborgen.
Er schrak hoch, als Coar, beladen mit einem hölzernen Tablett, auf dem ein bauchiger Krug und ein flacher Teller mit dünn geschnittenem Fleisch standen, unter dem Eingang erschien. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt wieder ein einfaches, braunes Gewand, wie es hier in Went üblich zu sein schien, und ihr Haar fiel in offenen gelben Wellen über Nacken und Schultern. Skar wollte aufstehen und ihr helfen, aber sie schüttelte ablehnend den Kopf und kam mit raschen Schritten auf ihn zu. Sie setzte das Tablett vor ihm ab, ließ sich neben ihm auf das Lager sinken und sprang dann noch einmal auf, um zwei Becher zu holen. »Ich hoffe, der Wein schmeckt dir«, sagte sie, während sie vor ihm niederkniete und mit geübten Bewegungen eingoß. »Man sagt, unser Wein sei sehr gut, doch ich muß gestehen, daß ich nicht viel davon kenne. Für mich schmeckt der eine wie der andere. Hier — trink.«
Skar griff nach dem dargebotenen Becher und setzte ihn an die Lippen. »Ich bin nicht wählerisch«, sagte er. Er nippte vorsichtig, trank einen kleinen Schluck und rasch einen größeren. Der Wein war herb und hatte einen leicht bitteren Nachgeschmack, aber er löschte ausgezeichnet seinen Durst. Er leerte den Becher, griff nach dem Krug und füllte erneut ein. Er spürte erst jetzt, wie durstig und hungrig er war. Sie waren die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, ohne auch nur einmal zu essen oder zu trinken. Er griff nach dem Fleisch, biß hinein und kaute ausgiebig. Coar lächelte. Wie jeder Frau schien es ihr zu schmeicheln, daß ihrem Gast ihre Küche so offenkundig mundete.
»Greif ruhig zu«, sagte sie aufmunternd. »Es ist noch mehr da.«
»Ich möchte dir nicht deine ganzen Vorräte wegessen«, sagte Skar, während er nach einer weiteren Fleischscheibe griff.
»Das tust du nicht, keine Sorge. Ich freue mich, wenn es dir schmeckt. Es kommt selten genug vor, daß ich Gelegenheit habe, jemanden zu bewirten. Aber ich fürchte, ich bin nicht gerade eine Meisterköchin.«
Skar schüttelte erneut den Kopf und biß wieder in sein Fleisch. »Ich habe schon Schlimmeres gegessen«, sagte er mit vollem Mund.
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