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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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überhaupt ausgesprochen hatte. Trotzdem spürte er, daß es die Wahrheit war. Er hatte nicht viel mehr als einen Tag bei Bewußtsein hier verbracht, aber er spürte schon jetzt, daß er niemals zuvor einem friedliebenderen und sanfteren Volk begegnet war. Es war eine Erkenntnis, die nicht vieler Worte oder langer Beobachtungen bedurfte. Selbst Logar und Bernec mit ihrer absichtlichen Ablehnung waren im Grunde gütige und weiche Menschen. Hier, isoliert von der Welt mit all ihren Kriegen und Fehden, schien sich ein winziger Rest jener alten Zeit erhalten zu haben, von der Legenden und Mythen berichteten, ein Artefakt aus einer Epoche, in der Frieden und Menschlichkeit regiert hatten statt Gewalt und Haß. Aus einer Epoche, fügte er in Gedanken hinzu, die vielleicht niemals existiert hatte.
    »Aber das ist… unmöglich«, sagte Coar nach einer Weile »Du… du meinst, dort draußen herrsche ununterbrochen…?«
    »Krieg«, nickte Skar. »Vielleicht nicht ununterbrochen, aber oft unterscheidet sich der Frieden nicht sehr von dem, was ihr unter Krieg verstehen mögt. Es… es tut mir leid, wenn ich deine Illusion zerstören muß, Coar, aber die Welt dort draußen ist nicht schön. Enwor ist hart. Hart und grausam.«
    »Aber…«, stotterte Coar verwirrt, »du… du und Del…«
    »Ich und Del wurden so, wie wir sind, weil die Welt so ist, wie sie ist«, fuhr Skar ruhig fort. »Dort draußen herrscht Gewalt, Coar, Gewalt und das älteste Recht der Welt, das des Stärkeren. Nur die Stärksten überleben, und selbst sie nicht immer. Enwor würde dir nicht gefallen. Ein Volk wie das eure könnte dort nicht überleben, Coar.« Er brach erschöpft ab. Die wenigen Worte schienen seine gesamte Kraft aufgebraucht zu haben, und er spürte erst jetzt so richtig, wie sehr ihn die Erlebnisse der letzten Tage aufgewühlt hatten. »Nun habe ich dir eine Geschichte erzählt«, sagte er abschließend, »aber ich fürchte, sie war nicht so schön wie deine.«
    Coar sah verwirrt weg. »Das… macht nichts«, sagte sie stokkend. »Vielleicht ist die Welt dort draußen wirklich so, wie du sie geschildert hast, vielleicht auch nicht. Es bleibt sich gleich. Ich werde sie nie kennenlernen, und du bist ihr entronnen. Du wirst hier Frieden finden.« »Aber wir können nicht bleiben«, sagte er sanft.
    »Ihr werdet einen Platz finden, an dem ihr leben könnt«, wiederholte sie, seine Worte ignorierend. »Du kannst Kommandant der Garde werden, oder du kannst nach Ipcearn gehen und dich in den Dienst der Könige stellen. Für einen Mann wie dich…«
    »Es ist sinnlos«, unterbrach sie Skar sanft. »Du solltest dir nicht selbst etwas vormachen. Wir bleiben, bis Del sich vollkommen erholt hat. Vielleicht warten wir auch den Winter ab, doch wir können nicht auf ewig hierbleiben. Weder ich noch Del.«
    »Und warum nicht?« fragte Coar. Ihre Hände spielten nervös am Sattelknauf, und ihre Stimme bebte. »Du hast mir erzählt, wie es dort draußen ist. Krieg, Gewalt und Tod. Was reizt dich an einer solchen Welt? Was ist besser daran als an Went, an Cearn? Was lockt dich an diesem Leben?«
    Skar lächelte traurig. Die Stille des Waldes schien sich plötzlich in seiner Umgebung zu verdichten, und für einen Moment fühlte er sich trotz all der Menschen um sich herum unendlich einsam und isoliert, eingesponnen in einen dichten, unsichtbaren Kokon aus Schwärze und Alleinsein.
    »Vielleicht«, sagte er nach einer Weile, »weil es mein Leben ist, Coar. Ich gebe zu, daß Went ein Paradies ist, trotz der Hoger, aber…«
    »Dann bleib hier!« sagte Coar flehend. »Du… du bist erst seit wenigen Tagen hier. Wie willst du wissen, ob es dir hier gefällt oder nicht? Du wirst hier alles finden, was du dir wünschst. Du wirst Ruhm erlangen, Macht, Reichtum —«
    »Aber Enwor ist meine Heimat«, führte Skar den begonnenen Satz zu Ende. Diesmal schwieg Coar.

Der Morgen dämmerte, als sie zurück nach Went kamen. Skar fühlte sich nach der durchwachten Nacht müde und fiebrig. Sein Rücken schmerzte, und seine Muskeln waren vom langen Reiten steif und verspannt. Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen, legte die Hand in den Nacken und versuchte, seine schmerzenden Muskeln zu massieren. Es half nichts. Die Spannung blieb und schien im Gegenteil noch stärker zu werden. Thoranda hatte wohl recht — es würde noch Wochen dauern, bis er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war.
    Sie ritten durch das gleiche Tor wie beim ersten Mal nach Went

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