Enwor 1 - Der wandernde Wald
allein. Ihr behandelt mich wie… wie einen König, und ich möchte endlich wissen, warum!«
Coar hielt seinem Blick einen Moment lang stand, senkte dann den Kopf und begann mit den Fingerspitzen imaginäre Linien auf den Boden zu zeichnen. »Das bildest du dir ein«, sagte sie, doch ihre Worte klangen nicht sehr überzeugend. »Und selbst wenn es so wäre — was wäre so schlimm daran? Wir bekommen nicht oft Besuch, und wir sind ein gastfreundliches Volk…«
»Quatsch«, sagte Skar ruhig. »Ausgemachter Blödsinn.«
Coar seufzte. Sie hob den Kopf, zog die Beine an den Körper und stützte das Kinn auf die Knie. »Logar hat seine Meinung nicht von ungefähr so rasch geändert«, sagte sie so leise, daß Skar Mühe hatte, die Worte überhaupt zu verstehen. »Die Nachricht von eurer Ankunft ist rasch bis nach Ipcearn vorgedrungen. Logar handelt auf direkten Befehl der Könige. Er — das heißt, wir alle haben Order, euch so zuvorkommend wie möglich zu behandeln und euch jeden Wunsch zu erfüllen.«
»Und warum?« fragte Skar verwirrt. »Eure Könige kennen uns nicht einmal!«
»Sie kennen dich nicht, Skar, aber sie kennen Männer wie dich. Ich dürfte es dir nicht sagen, aber es ist ein Befehl, euch mit aller Macht zum Bleiben zu überreden. Wir… brauchen euch. Dich!« Sie senkte erneut den Blick und fuhr fort, unsichtbare Linien über den Lehmboden zu ziehen. Ihre Bewegungen wirkten fahrig und nervös. »Du wolltest es wissen«, flüsterte sie.
Skar nickte matt. Ihre Worte hatten wie eine kalte Dusche auf ihn gewirkt. Das sanfte, vertraute Gefühl der Geborgenheit, das bisher in ihm gewesen war, war erloschen wie eine Kerzenflamme, über die der Wind bläst, und zurück blieben nur Leere und Enttäuschung. Aber was hatte er erwartet? Er hätte sich mit dem zufriedengeben sollen, was er hatte, aber er hätte weiter fragen und bohren und graben müssen, lange genug, um sich selbst alles zu zerstören.
»Hast du mich… deshalb mitgenommen?« fragte er stockend. »Hierher?«
Coars Kopf flog mit einem zornigen Ruck in den Nacken. Ihre Lippen bebten, und für einen winzigen Moment glaubte Skar einen feuchten Schimmer in ihren Augen zu entdecken. Aber ihre Stimme klang beherrscht, als sie antwortete. »Nein, Skar. Ich habe versprochen, mich um dich zu kümmern, das stimmt. Doch man kann einen Befehl auch mit Freude ausführen, und es gibt Befehle, die sich mit den eigenen Wünschen decken. Ich dachte, ich könnte die Pflicht mit… mit…« Sie brach ab, ballte in stummer Wut die Faust und murmelte ein Wort in ihrer Heimatsprache. Dann schüttelte sie den Kopf und raffte sich zu einem matten Lächeln auf. »Wir sitzen da und reden und reden und machen mehr kaputt, als vielleicht jemals zwischen uns existiert hat«, murmelte sie. »Ich benehme mich wie ein kleines Mädchen, und —«
Skar beugte sich zu ihr hinüber, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. Für einen Moment versteifte sich ihr Körper, dann erwiderte sie seine Umarmung, stürmisch und mit einer Kraft, die ihm mehr als alle Worte sagte, daß sie die ganze Zeit darauf gewartet hatte, daß er genau dies tat.
Es dauerte lange, bis sie sich wieder voneinander lösten, beide außer Atem und fast überrascht von ihrem eigenen Tun.
»Nimm mich so, wie du willst«, flüsterte sie. »Als Freund, als Kamerad oder als Frau, aber sag nie wieder, daß —«
Skar legte ihr sanft den Finger über die Lippen. »Nicht«, murmelte er. »Sprich es nicht aus. Ich habe schon zuviel dummes Zeug geredet.«
»Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn wir aufhören würden, uns ständig gegenseitig um Vergebung für irgend etwas zu bitten«, schlug Coar vor. »Dabei geht viel zuviel Zeit verloren.« Sie ließ sich zurücksinken, zog ihn mit sanfter Gewalt zu sich herab und küßte ihn noch einmal, sanfter diesmal und voller Zärtlichkeit.
Skars Finger glitten scheu über ihren Körper. Er spürte, wie sie unter der Berührung erschauerte, zog die Hand zurück und streichelte sie dann erneut. Coar schlang die Arme um seinen Oberkörper und preßte ihn eng an sich.
Eine Bewegung unter der Tür ließ ihn zusammenzucken. Skar fuhr herum, setzte sich hastig auf und tauschte einen verwirrten Blick mit Coar.
»Was…?« machte sie. Sie folgte seinem Blick und lächelte flüchtig, als sie die Gestalt unter der Tür erkannte. Es war der Knabe, dem Skar bereits am Tage begegnet war. Er hatte nicht gehört, wie er das Haus
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