Enwor 11 - Das elfte Buch
Leder umwickeltes Griffstück, kein fein ziseliertes Kunstwerk aus Silber und Gold. Trotzdem schob er die Waffe nach kurzem Zögern in ihre Umhüllung zurück, band sich den Waffengurt um die Hüften und wandte sich wieder der Felswand zu. Mit den Kleidern hatte sich nicht nur sein Aussehen verändert. Seine Bewegungen waren geschmeidiger und schneller geworden und seinen Schritten war nicht das geringste Zögern anzumerken. Es war ihm nicht einmal selbst bewusst, aber hätte es jemanden gegeben, der ihn beobachtete, so wäre der Unterschied nicht zu übersehen gewesen: Der Mann, der in der vergangenen Nacht aus dem See aufgetaucht war und sich mit letzter Kraft ans Ufer geschleppt hatte, war ein Verlorener gewesen, namen- und erinnerungslos und voller Furcht vor der Welt, die ihn erwartete.
Der, der sich nun der Klippe näherte, war ein Krieger.
Der Pfad zog sich am Fuße der Felswand entlang, so weit sein Blick reichte — was in diesem Fall nicht besonders weit war. Schon in dreißig oder vierzig Schritten Entfernung begann das Felsband hinter hochsprühender staubfeiner Gischt zu verschwimmen, und zudem war die Klippe leicht gekrümmt, sodass er ohnehin nicht hätte sehen können, was vor ihm lag.
Trotzdem wusste er, dass er sich in der richtigen Richtung bewegte. Irgendwo vor ihm, vielleicht noch hundert, vielleicht auch zweitausend Schritte entfernt, lag sein Ziel.
Er hatte zwei- oder dreimal begonnen seine Schritte zu zählen, war aber jedes Mal schon nach kurzem durcheinander gekommen und hatte es schließlich aufgegeben. Es spielte keine Rolle, wie viele Schritte noch vor ihm lagen. Außerhalb des Sturzes von Ninga führte kein Weg die Klippe hinauf. Sein Ziel lag irgendwo vor ihm.
Er ging weitere hundert Schritte, dann noch einmal und noch einmal. Die Gischt wurde immer dichter, sodass sie ihm fast den Atem nahm und seine Kleider vor Nässe triefend an seinem Körper herabhingen, und auf dem letzten Stück kam er der brüllenden Wasserwand so nahe, dass er nur die Hand hätte auszustrecken brauchen, um sie zu berühren; ein Experiment, das wahrscheinlich tödlich verlaufen wäre. Die Wand, die unmittelbar neben ihm in die Tiefe stürzte, war wie Glas. Er konnte sich selbst darin spiegeln, als wäre sie aus fester Materie. Weniger als eine Armeslänge entfernt und unter ihm jedoch explodierte sie in einem Chaos aus weißem Schaum und wütender Bewegung.
Nach einer Ewigkeit begann die Wand und damit auch der herausgemeißelte Pfad an ihrem Fuß wieder von der Wassermauer zurückzuweichen; zuerst nur sacht, sodass er es kaum bemerkte, aber dann immer rascher und rascher, bis er aus Dunst und stiebender Gischt hervortrat und sich urplötzlich in einer gewaltigen halbrunden Höhle wieder fand, deren Boden, Decke und vordere gerade Wand aus Wasser bestanden. Genau im Scheitelpunkt des Halbrundes, dort, wo sich der Pfad mit seinem aus der anderen Richtung kommenden Spiegelbild vereinigte, begannen die Stufen einer gewaltigen, immer breiter werdenden Treppe, die zu einem Torbogen von wahrhaft zyklopischen Abmessungen emporführte. Sowohl die Treppenstufen als auch der Torbogen selbst — er musste zwanzig Manneslängen, wenn nicht mehr, messen — bestanden aus schimmerndem Ster-nenstahl, dem gleichen Metall, aus dem das Schwert an seiner Seite gefertigt war.
Für die Dauer vieler, schwerer Herzschläge stand er einfach da und starrte das phantastische Gebilde an, erfüllt von einem Gefühl zwischen Ehrfurcht und Staunen, aber auch ein wenig Furcht. Es war fast unheimlich: Er wusste, dass dies sein Ziel war, der Weg, der ihn nach oben auf die Klippe bringen würde, aber gleichzeitig wusste er auch, dass er noch nie zuvor hier gewesen war. Und wenn er zehn Leben statt nur einem hinter sich gebracht hätte, diesen Anblick hätte er doch niemals vergessen.
Es war nicht die Größe des Tors, die ihn erschütterte. Er hatte Bauwerke gesehen, die zehnmal größer und hundertmal prachtvoller waren. Es war das Material, aus dem es erbaut worden war. Sternenstahl war die härteste Materie, die es auf dieser Welt gab. Selbst die heiligen Tschekals zu schmieden hatte Jahrzehnte gedauert und der Anstrengung nicht nur der klügsten Alchimisten, sondern auch der mächtigsten Zauberer der Errish bedurft, und nur zu oft waren diese Anstrengungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Keine Macht dieser Welt, nicht einmal die eines Gottes, konnte ausreichen, so etwas zu erschaffen.
Nachdem er eine ganze Weile dagestanden
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