Enwor 11 - Das elfte Buch
tot, sondern nur
scheintot
gewesen war —doch jetzt, in diesem einen entsetzlichen Augenblick begriff er, dass das alles ein Trugschluss war, dass etwas vollkommen Unbegreifliches mit ihm geschehen war. Natürlich konnte es sein, dass ihn Esanna belogen hatte —wissentlich oder unwissentlich. Aber er schob diese Möglichkeit ohne zu Zögern beiseite. Er
spürte
einfach, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, er
spürte,
dass tatsächlich Jahrhunderte zwischen seinem früheren Leben und seiner jetzigen Existenz lagen.
»Wenn ihr Kaol sucht«, sagte Skar, »dann wird es vielleicht doch eine leichtere Möglichkeit geben, als es ausgerechnet den Quorrl unterm Hintern wegzustehlen.«
»Sicherlich gibt es leichtere Möglichkeiten«, sagte Esanna ärgerlich. »Doch unser Clan musste neue Schürfgründe suchen. Alles, was einfach auszubeuten ist, ist in der Kontrolle des Clans der Ältesten.« In ihren Augen blitzte es wütend auf. »Die Ältesten — sie haben uns gezwungen bis zum Äußersten zu gehen. Wir
mussten
einfach hierher kommen, denn hier gibt es jede Menge Kaol und niemanden, der ein Recht darauf beansprucht.«
»Die Quorrl sehen das vielleicht ein bisschen anders.«
»Die Quorrl! Das sind doch bloß Tiere. Die wissen doch gar nicht, auf welchem Schatz sie sitzen. Alles, was wir machen müssen, ist sie ein Stück weit zurückzudrängen, um unseren Anspruch auf die hiesigen Kaol-Vorkommen zu sichern.«
»Und dann kommen nach euch andere Digger, die wieder ein Stück weiter ins Quorrl-Gebiet ziehen müssen, um Rechte an Kaol zu erwerben und immer so weiter fort.« Skar nickte ärgerlich. »Das ist ein altbekanntes Muster. Und am Ende stehen Vernichtung, Hass und womöglich die Ausrottung eines ganzen Volkes…«
»Die Quorrl sind Mörder«, unterbrach ihn Esanna mit überkippender Stimme. »Sie haben unser ganzes Dorf ausgelöscht.«
»Das mag sein«, sagte Skar hart. »Die Quorrl haben gemordet. Das haben sie schon immer getan. Zumindest einige von ihnen. Aber bei den Menschen ist das doch kein bisschen anders!«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass unser beider Anliegen sein sollte dem Kampf ein Ende zu setzen… Also setzen wir dort an, wo er — zumindest zum guten Teil — seinen Ursprung nimmt.«
»Du willst also doch gegen die Quorrl in den Krieg ziehen?«
»Wenn du es so sehen willst«, sagte Skar, wobei er bewusst die Wahrheit strapazierte und seine nächsten Worte so wählte, dass Esanna ihn missverstehen
musste.
»Ich werde dem Ruf folgen und an Marnas Hof ziehen.«
Esanna starrte ihn vollkommen fassungslos an. »Das verstehe ich nicht«, bekannte sie. »Alles, was du bislang gesagt hast, alles, was du getan hast, weist dich als Freund dieser Ungeheuer aus, als Verräter der heiligen Sache… Und jetzt willst du all das von dir weisen, so tun, als ob nichts gewesen sei?« Ihre Augen verengten sich. »Oder hast du vielleicht ganz andere Gründe zu Marna zu gehen? Bist du ein gedungener Mörder, der den Auftrag hat ihn umzubringen?«
»So ein Blödsinn«, sagte Skar. »Wenn das so wäre: Hätte ich nicht oben an der Klippe reichlich Gelegenheit dazu gehabt? Hätte ich mich nicht nur im Schutz eines Felsens auf die Lauer legen müssen, um ihn mit einem Pfeil vom Sattel zu holen. Nein«, er schüttelte entschieden den Kopf, »ich wünsche genauso wenig wie du den Tod Marnas. Alles, was ich will, ist ihn davon zu überzeugen, dass es einen anderen Weg gibt, als die Quorrl auszulöschen.«
Esanna starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich glaube dir kein Wort, Satai«, sagte sie. »Du hast doch irgendeine Schweinerei vor.«
Ein heller, metallischer Laut mischte sich in das Winseln des Sturms, ein Geräusch, als schlage eine Klinge auf harten Stein. Skar war mit einem Schlag hellwach. Es war ihm nur zu bewusst, dass er die Nacht wie in fiebrigen Visionen verbracht hatte und noch immer fühlte sich seine Kehle wie mit Sand gefüllt an; aber er konnte wenigstens schlucken und damit den brennenden Schmerz etwas mildern.
Es war das metallische Geräusch, das ihn gewarnt hatte und automatisch an Esanna und das Messer hatte denken lassen, aber es war seine Umgebung, die ihn fluchend zurückweichen ließ in den Höhleneingang, zurück aus dem Nebel, der mit gierigen Fingern nach ihm griff und der kalten Feuchtigkeit, die sich wie ein erstickendes Tuch auf ihn legte. Während sein Kopf fast explodiert war von dem Schrecken, der sich darin abgespielt hatte und der mehr gewesen war als
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