Enwor 11 - Das elfte Buch
Entsetzen, das er überhaupt nicht zuordnen konnte — doch immerhin machte sie keine Anstalten, ihn erneut anzugreifen.
»Ich sagte, wir sollten zum Feuer zurückkehren«, wiederholte Skar, während er die kunstvoll verzierten Lederschnallen des Harnischs wieder schließen wollte.
»Nicht!«
»Bitte? Was nicht?« Als Esanna mit nichts weiter darauf antwortete als mit einem entsetzten Kopfschütteln — und er sich langsam Sorgen um ihren Geisteszustand zu machen begann —, fuhr er fort: »Gefällt dir der Platz am Feuer nicht, oder was ist los?«
»Zieh das nicht wieder an!«, sagte Esanna, als wäre er im Begriff etwas Entsetzliches zu tun.
»Entschuldige mal«, sagte Skar, »ich friere. Mal ganz abgesehen davon, was du mit meinen Fingern angestellt hast: Du hättest mich nicht auch noch halb auszuziehen brauchen.«
»Aber das Zeichen!« In Esannas Stimme mischte sich so etwas wie Panik und Ehrfurcht. »Du trägst das Zeichen!« »Quatsch«, entgegnete Skar schroff. »Was für ein Zeichen? Es ist nichts mehr als das Gewand eines Toten, das ich trage.«
»Nicht doch.« Esanna schüttelte den Kopf. »Nicht deine Kleidung. Das Zeichen über deinem Herzen.«
Skar seufzte und sah an sich hinab. Tatsächlich. Eigentlich hätte es ihm schon früher auffallen müssen. Etwas leuchtend Schillerndes hatte sich in seine Brust eingegraben, etwas, dass seine ganze Umgebung mit einem milden, schwach golddurchwirkten roten Licht erfüllte. Auf den ersten Blick sah es aus wie ein riesiger Diamant, der in tausend kunstvoll geschliffenen Facetten leuchtete, als würde er von geheimnisvollen Lichtquellen angestrahlt. Es war ein gleichzeitig so schöner wie bizarrer Anblick, dass Skar automatisch ein kalter Schauer über den Rücken jagte.
»Was ist das?«, keuchte er.
»Das Zeichen«, sagte Esanna leise. »Das Zeichen, das nur der tragen kann, den das
Elfte Buch
als den Retter bezeichnet —
Skar.«
»Das
Elfte Buch?«,
fragte Skar verständnislos.
»Ja«, nickte Esanna, »das
Elfte Buch,
das erst dann fertig gestellt werden kann, wenn sich seine Prophezeiung erfüllt und
Skar die Welt rettet vor der unsichtbaren Gefahr…«
Skar hob vorsichtig die Hand und führte sie zu dem
Gebilde,
das in seine Brust eingewachsen zu sein schien.
Seine Oberfläche fühlte sich glatt und gleichermaßen angenehm kühl und gut temperiert an, tatsächlich ähnlich wie ein Edelstein, aber auch anders —
lebendig.
Das Gebilde erschien ihm gleichermaßen vollkommen fremd wie auch vertraut, gar nicht so, als ob er es zum ersten Mal sähe. Gleichwohl — als er vor ein paar Tagen nackt dem Wasser unterhalb des Sturzes von Ninga entstiegen war, war es noch nicht an ihm gewesen. Oder war es ihm nur nicht aufgefallen?
»Was ist das für ein Ding?«, fragte er misstrauisch.
»Kein Ding.« Esanna schüttelte schnell den Kopf. »Es ist das Zeichen.
Und haltet Ausschau nach ihm, auf dass ihr ihn erkennt, wenn er vor euch steht«,
zitierte sie.
»Denn sein ist die Macht, das Unmögliche zu vollbringen und die Welt vor der Vernichtung zu erretten wider die Verblendung, die sich wie ein dunkler Schatten über das Land legt.«
»Das steht im
Elften Buch?«,
fragte Skar irritiert. »Was verrät diese Schrift denn sonst noch so?«
Esanna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Es ist der einzige Teil des Buches, der unter der Bevölkerung ganz Enwors verbreitet werden sollte. Natürlich zusammen mit der genauen Beschreibung des Zeichens und der Aufforderung, das Auftauchen des großen Skars kundzutun…« Ein kurzer Schatten lief über ihr Gesicht, ein Hauch bitterer Enttäuschung und tiefen Zweifels.
»Aber das kann natürlich nicht sein«, fuhr sie fort und trat auf Skar zu, rasch, aber nicht ganz so schnell wie zuvor. Trotzdem wäre er fast automatisch einen Schritt zurückgewichen, wohl auch deshalb, weil er intuitiv wusste, was sie vorhatte. Ihre Hand kam fast zögernd nach oben und ihre Finger tasteten nach dem
Zeichen,
wie sie es bezeichnet hatte, oder nach dem
Gebilde,
wie Skar es für sich nannte.
»Es fühlt sich… merkwürdig an«, sagte sie stockend.
»So… glatt. Und… gleichermaßen kühl und warm. Fast wie eine kühle Hand.«
Ihre Zungenspitze fuhr nervös über ihre Lippen. Skar konnte direkt sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Es vergingen endlose Sekunden, in denen sie noch mehrfach über das
Gebilde
fuhr, als wollte sie sich von seiner Echtheit überzeugen, und es waren Augenblicke, in denen die Gesetze der
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