Enwor 11 - Das elfte Buch
einmal sicher.«
Esannas Augen zogen sich zu dünnen Schlitzen zusammen. »Du hättest es mir sagen können«, beschwerte sie sich. »Was?«, fragte Skar, während ihm ein kurzer eisiger Schauer über den Rücken lief. »Dass wir an einem der unwirtlichsten und entlegensten Flecken der bekannten Welt sind? Aber ich dachte, das wüsstest du. Schließlich seid ihr Digger freiwillig in diese Gegend gekommen.«
»Ja. Nein.« Esanna schüttelte sich und trat näher ans Feuer heran, während sie gleichzeitig die Arme um sich schlang.
Aber irgendetwas stimmte nicht. Er blinzelte ein paarmal, versuchte zu begreifen, was dort vor ihm gerade ge-schah. Er sah Esanna verfroren am Feuer stehen, müde, zerschlagen und immer noch am ganzen Körper zitternd. Aber da war noch etwas anderes, glitzerte etwas in ihrer Hand, was eigentlich harmlos in der Feuerstelle liegen sollte: das Messer.
Im nächsten Augenblick war die Vision schon wieder verschwunden, um nur ein paar Sekunden später flackernd wieder zum Leben zu erwachen. Was ging hier vor? War es eine Warnung aus den Tiefen seiner Seele, ein Hinweis vor einem künftigen Angriff Esannas, den sie schon plante, nachdem ihr Versuch, in der tobenden Nacht einen anderen Unterschlupf zu finden, an den Naturgewalten gescheitert war? Vielleicht — und doch… es war so, als würde er sie
zwischendurch
tatsächlich in einer ganz ähnlichen, aber grundverschiedenen Pose sehen, als stünden zwei Esannas vor ihm, die eine fröstelnd, aber harmlos, am Feuer und die andere mit einer tödlichen Waffe in der Hand, die sie ihm, dem gerade Erwachten, ins Herz stoßen wollte.
»Ich frage mich, warum du dir ausgerechnet diese Gegend hier ausgesucht hast, Herr«, sagte Esanna. In ihren Augen flackerte etwas, das er nicht zu deuten vermochte. »Ihr hättet vor den Quorrl doch auch ein anderes Versteck finden können als ausgerechnet hier.«
Ganz nebenbei fiel Skar auf, dass sie zwischen dem vertrauten
du
und dem ehrfurchtsvollen, aber wohl mehr spöttisch oder sogar abfällig gemeinten
Ihr
hin und her schwankte — etwas, das aber ganz im Hier und Jetzt stattfand und nichts zu tun hatte mit der mittlerweile verblassten Vision der mörderischen Esanna. Trotzdem — wenn er die Warnung ernst nahm, sollte er sofort das mittlerweile glühende Messer aus den Flammen nehmen und, nachdem es abgekühlt war, in seinem Waffengurt verstauen.
»Ich will jetzt endlich wissen, was du von mir willst!«
Esanna wirbelte mit einer erschreckend schnellen Bewegung zu ihm herum. »Ich bin doch nur Ballast für Euch!«
Skar schwieg noch immer. Es gab auch nichts, was er hätte sagen können, nichts, was irgendeiner Verteidigung noch Sinn gegeben hätte. Das zwischen ihm und Esanna bestehende Band war nichts, was sich in Worte kleiden ließ und was auch immer sie zusammengeführt hatte: Mit ihm selbst, mit einer bewussten Entscheidung hatte das wohl am wenigsten zu tun.
»Erzähl mir mehr über die Digger«, sagte er nach einer weiteren Minute des Schweigens, während in ihm gleichzeitig ein erbitterter Kampf tobte und sich Gedanken glasklar aneinander reihten, mit messerscharfer Logik, als ob sie ihn zerschneiden wollten: Dunkler Bruder,
Sternenbestie Daij-Djan,
Vernichtung der alten Ordnung, Kampf ums Überleben, Tod, Tod, Tod und Tasten und Suchen in der alles verschlingenden Ewigkeit des Immertoten, aus dem Nichts und Niemand zurückkehrte ins Reich des Lebens… Und doch war er hier, Skar, dem die Geschichtsschreibung der Welt das
Elfte Buch
widmete, den die Prophezeiung dazu auserkoren hatte, Enwor zu retten, nachdem Narren auf allen Seiten zur umfassenden Vernichtung aufgerufen hatten… ein Skar, der tot war, gestorben vor unendlich langer Zeit…
Und der er deswegen nicht selber sein konnte!
Wer aber war er dann?
Skar versuchte den Gedanken weiterzuverfolgen, zu ergründen, was es mit dem Geheimnis seiner Existenz auf sich hatte. »Ich will wissen, warum dein Volk ausgerechnet hier lebt«, hörte er sich jedoch stattdessen sagen, als bestünde er aus zwei Wesen, als wäre der eine vollkommen auf das Gespräch mit dem Mädchen konzentriert und als würde der andere voller Panik und Entsetzen versuchen zu begreifen, was mit ihm geschah und
wer
oder
was
er eigentlich wirklich war.
»Schon wieder ein Vorwurf, Satai?«, fragte Esanna hart. »Erst verratet Ihr uns an diese Ungeheuer, dann schlagt Ihr Euch im Kampf auf ihre Seite und schließlich entführt Ihr mich — und nun tut Ihr so als hätten wir
Weitere Kostenlose Bücher