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Enwor 11 - Das elfte Buch

Enwor 11 - Das elfte Buch

Titel: Enwor 11 - Das elfte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Bäumen oder auch nur aus mannshohem Gebüsch bestand, dann mussten ihre Dimensionen wahrhaft gewaltig sein.
    Dann fiel ihm der logische Fehler in diesem Gedanken auf: Wenn schon nicht ihre Form, so konnte zumindest die Beschaffenheit dieser Ruinen über die große Entfernung unmöglich zu erkennen sein. Was er sah, war nicht wirklich das, was er sah, sondern das, woran er sich erinnerte. Er war schon einmal dort gewesen. In diesen zyklopischen Ruinen war etwas geschehen, etwas, das für sein bisheriges Leben von ebenso großer Bedeutung gewesen war, wie es jetzt keine Rolle mehr spielte. Nichts, was immer er gewesen war oder getan hatte, spielte noch irgendeine Rolle.
    Ein weiteres Bruchstück gesellte sich zu dem Bild, das in seinem Kopf allmählich Gestalt anzunehmen begann: Er war nicht aus freien Stücken hier, sondern geschickt worden. Um etwas zu tun. Er wusste nicht, was, geschweige denn, von wem, aber er wusste plötzlich, dass es nicht wirklich etwas mit ihm zu tun hatte. Er war nur ein Werkzeug, willkürlich ausgewählt und ohne seine Zustimmung einzuholen.
    Wenn er seine eigene Reaktion aus der vergangenen Nacht bedachte, dann hätte ihn diese Erkenntnis eigentlich zornig machen sollen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Er hatte einen Teil des Schleiers, der vor seinen Erinnerungen lag, gelüftet. Nicht viel. Nicht einmal einen Zipfel, der ausreichte, um hindurchzublicken, oder auch nur zu erahnen, was auf der anderen Seite lag. Aber er hatte begonnen zu einem ganz kleinen Stückchen wieder der Mann zu sein, der er einmal gewesen war. Ein Mann, der niemals aufgab und der an seinen Gegnern wuchs, statt daran zu zerbrechen. Der kämpfen und siegen, aber auch verlieren gewohnt war, und der mit einer Niederlage ebenso umzugehen wusste wie mit einem Sieg.
    Er verschob die Lösung dieses Problems auf später. Er konnte nicht gegen jemanden kämpfen, den er nicht einmal kannte.
    Ganz allmählich begann er sich der Klippe zu nähern. Er marschierte eine gute Stunde, dann eine zweite, in der die Sonne langsam weiter am Himmel emporstieg, und mit jedem Stück, dass sie zurücklegte, mehr an Kraft zu gewinnen schien. Obwohl das Ufer auch hier von scharfkantigen Felsen gesäumt war und die Oberfläche des Sees unter der Wucht des niederstürzenden Wassers schäumte und brodelte, kletterte er in dieser Zeit zwei- oder dreimal zum Wasser hinab, um seinen Durst zu löschen. Die Linderung, die er dabei verspürte, war eine gefährliche Täuschung, das war ihm klar; er hatte bereits jetzt einen Sonnenbrand auf Schultern und Nacken, der sich im Moment nur als lästiges Kribbeln bemerkbar machte, spätestens in der kommenden Nacht aber wirklich unangenehm werden musste. Dazu kam, dass das grelle Licht seine Sehfähigkeit beeinträchtigte.
    Er beschleunigte seine Schritte, obwohl ihm klar war, dass das bisschen an Schnelligkeit, das er dabei gewann, das Mehr an Kraft nicht aufwog, das ihn die schnelle Gangart kostete.
    Er war sehr hungrig. Die barbarische Mahlzeit vom Morgen hatte nur seinen Magen beruhigt, nicht aber seinen Hunger gestillt. Er musste die Klippe oder wenigstens irgendeinen Schatten erreichen, bevor die Sonne noch höher stieg. Ein Sonnenbrand konnte durchaus tödlich sein.
    Er blickte nach links auf die brodelnde Oberfläche des Sees hinab. Der Gedanke, in unmittelbarer Nähe dieser gewaltigen Menge Wassers einen Hitzschlag zu erleiden oder sich lebensgefährliche Verbrennungen zuzuziehen, war geradezu lächerlich, zugleich aber auch bitter ernst. Schwert und Faust waren nicht die einzigen Waffen, die einen Krieger töten konnten. Viel gefährlicher war es, seine eigenen Grenzen nicht zu kennen oder die teilnahmslosen Gewalten der Natur zu unterschätzen.
    Er balancierte ein weiteres Mal zum See hinunter, löschte ausgiebig seinen Durst und schöpfte eine Hand voll Wasser, um sein Gesicht zu kühlen. Er widerstand bewusst der Versuchung, sich Wasser über Kopf und Schultern zu gießen, um seinen Sonnenbrand zu kühlen. Die Tropfen, die unweigerlich auf seiner Haut zurückbleiben mussten, würden wie kleine Brenngläser wirken und ihm nur eine Illusion von Linderung verschaffen, für die er teuer bezahlen musste.
    Nach einer weiteren Stunde erreichte er die Felswand.
    Schon von weitem konnte er sehen, dass seine Hoffnungen enttäuscht wurden. Dort, wo sie nicht von Gischt und niederstürzendem Wasser verborgen wurde, ragte die natürlich gewachsene Mauer so glatt und fügenlos in die Höhe, als wäre

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