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Enwor 2 - Die brennende Stadt

Enwor 2 - Die brennende Stadt

Titel: Enwor 2 - Die brennende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gelegenheiten erinnern, zu denen der Wirt nicht selbst hinter der Theke gestanden war. Er hatte sich schon mehrmals gefragt, wann der glatzköpfige Fettwanst überhaupt schlief. Aber vielleicht hatte Rache sich einen derartigen Luxus auch längst abgewöhnt, um das Geld für eine Bedienung zu sparen.
    Rache rang sich ein halbwegs freundliches Nicken ab und begann Wein aus dem bauchigen Faß hinter der Theke in einen Krug zu füllen.
    Außer ihm und den beiden Soldaten hatten sich nur noch zwei weitere Gäste in die Schänke verirrt. Eine zusammengekauerte, in braune Fetzen gehüllte Gestalt — ein Bettler vielleicht, der von irgend jemandem genug geschenkt bekommen oder der auch genug gestohlen hatte, um sich einen Krug Wein und damit ein trockenes und warmes Plätzchen zu kaufen, lehnte an der Wand, hatte den Kopf auf die angezogenen Knie gebettet und schnarchte friedlich. Und eine dunkelhaarige schlanke Frau hockte mit halbgeschlossenen Augen gleich dem Bettler in einer Ecke und fixierte einen imaginären Punkt irgendwo über der Theke.
    Skar betrachtete sie für einen Moment. Ihre Anwesenheit überraschte ihn. Sie war nicht die Art von Frau, wie man sie normalerweise in RACHES WACHT antraf. Ihrer Kleidung nach hätte sie eine Tempeldirne sein können, obgleich sie dafür schon fast ein wenig zu alt schien — vierzig, vielleicht fünfundvierzig; auf eine seltsam reizvolle Art sah man ihr ihr Alter durchaus an, aber sie wirkte dennoch jugendlich, energisch und agil trotz der vollkommenen Reglosigkeit, in der sie dahockte. Aber es war etwas in ihrem Gesicht, das ihm sagte, daß sie keine Tempeldirne war: etwas wie Stolz oder vielleicht eher Selbstbewußtsein — Stärke, korrigierte er sich in Gedanken — Stärke trotz des entspannten Ausdruckes auf ihren Zügen, wie man sie selten bei Menschen in diesem Teil der Welt und noch seltener bei einer Frau fand. Ihre Hände, die im Schoß gefaltet waren, wirkten sehnig und schlank, doch es war jene Art von Schlankheit, hinter der sich oft große Kraft verbirgt, und die Ausbuchtungen unter ihren Achseln verrieten Skar, daß sie zumindest mit Wurfdolchen bewaffnet war.
    Sie sah auf, begegnete für die Dauer eines halben Lidschlages seinem Blick und wandte dann wieder den Kopf.
    Auch Skar sah hastig weg. Es war nicht seine Art, Fremde anzustarren und sie dadurch in Verlegenheit zu bringen. Und er war nicht hier, um sich den Kopf über die Probleme Fremder zu zerbrechen. Probleme hatte er selbst mehr als genug.
    Rache räusperte sich lautstark, schwang den gefüllten Krug wie eine Siegestrophäe und kam auf seinen kurzen Beinen herübergewatschelt. Er roch nach Fisch und Fett und eingetrocknetem Schweiß, und sein Gesicht glänzte ölig, aber das nahm Skar kaum mehr wahr. Der üble Geruch und die grobe Art sich zu geben, gehörten ebenso unverwechselbar zu Rache wie die dunklen Ringe unter den Augen und der zweischneidige Dolch in seinem Gürtel. Raches äußere Erscheinung täuschte, aber Skar wußte auch, daß er den dümmlichen Ausdruck auf seinem Gesicht und die tolpatschige Weise, sich zu bewegen, sorgsam pflegte. Er mochte ständig aussehen, als würde er im nächsten Moment im Gehen einschlafen, aber die schmalen trüben Augen registrierten jede Kleinigkeit, und wie schnell er mit dem Messer sein konnte, hatte schon mancher leichtsinnige Raufbold feststellen müssen.
    Rache stellte den Krug vor ihm ab, legte einen halben Laib Brot daneben und grinste. »Wie immer, Skar?«
    Skar nickte. »Wie immer, Rache.« Er machte eine einladende Handbewegung, griff nach dem Becher, kostete und verzog das Gesicht zu einer Miene, die sowohl Anerkennung als auch das genaue Gegenteil ausdrücken konnte. Rache würde sich — je nach Laune —das heraussuchen, was ihm gerade paßte.
    Der Wirt seufzte, nahm neben ihm Platz und sah kopfschüttelnd zu, wie er Brot und Wein ohne sichtliche Begeisterung zu verzehren begann. »Wann«, murmelte er, »wirst du dir endlich angewöhnen, eine Scheibe Braten zum Wein zu nehmen? Du beleidigst meine Feinschmeckerseele.«
    Skar grinste und biß in sein Brot. »Dann, wenn du dir angewöhnt hast, Fleisch vom Ochsen oder Schwein anzubieten statt gedünstete Ratten«, erwiderte er kauend. »Und wenn du deinen eigenen Geiz so weit überwindest, Tische und Stühle anzuschaffen. Du beleidigst meine Gesäßmuskeln«, fügte er, Raches Tonfall genau nachahmend, hinzu.
    Der Wirt verzog das Gesicht, als hätte er unversehens auf einen Stein gebissen.

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