Enwor 2 - Die brennende Stadt
waren und jeder Versuch, ihr zu trotzen, auf Dauer mißlingen mußte.
Er schien — mit Ausnahme Tantors, der wie ein kleiner pelziger Ball in seine Decken eingedreht auf der anderen Seite des Feuers schlief — der letzte zu sein, der aufwachte, und hinter seiner Stirn war noch immer ein dumpfer Druck, ein Gefühl dicht unterhalb der Grenze zu wirklichem Schmerz; die Erinnerung an den überstandenen Alptraum, aber auch Furcht, seit Wochen sein ständiger Begleiter und wie die Kälte immer da. Auch jetzt, unmittelbar nachdem er aufgewacht war, konnte er sich nicht mehr an alle Einzelheiten des Traumes erinnern, aber das war auch nicht nötig. Es war immer derselbe Traum, jede Nacht.
Seine Hand tastete wieder nach dem Lederbeutel. Der Vorrat darin war auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft; dreißig Tage, vierzig, wenn er die fünf, die er als eiserne Ration abgezweigt hatte, mitzählte. Vielleicht konnte er ihn ein wenig strecken, wenn der Rückmarsch nicht so strapaziös war wie der Weg hier herauf. Sein Körper verbrauchte im gleichen Maße mehr des Gegenmittels, wie die Anstrengungen wuchsen. Er hatte schon auf dem Schiff damit begonnen, die Zeit, die bis zum Einnehmen einer der Kugeln verging, zu strecken, wenige Stunden nur, die sich aber summieren und zwei, vielleicht drei Tage ergeben würden. Nicht viel Zeit, und doch eine Ewigkeit, wenn das Leben nur noch nach Stunden gezählt werden konnte.
Sein Gedanke an Vela, die ihn an die Schwelle des Todes gesetzt hatte, ließ ihn nur Entsetzen verspüren.
Er erhob sich vollends auf die Knie und rieb die Hände über der Glut aneinander. Ein Windstoß fauchte über das Tal, brach sich an den spiegelnden Wänden und wirbelte eine Wolke aus feinem, pulvrigem Schnee auf, die wie Staub in der Luft hing und sich nur langsam wieder senkte. Die Pferde wieherten nervös.
Skars Blick wanderte wieder nach Westen. Das dunkle, drohende Rot am Himmel war zu einem kaum wahrnehmbaren Streifen geworden, aber es war noch immer da.
Er stand umständlich auf, wickelte sich fröstelnd in seinen Umhang und legte nach kurzem Zögern eine zusätzliche Decke um die Schultern. Die Kälte hatte sich einmal in seinen Knochen eingenistet und wich nur langsam wieder.
Er begann langsam im Kreis herumzugehen und stampfte mit den Füßen auf, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen. Seine Finger und Zehen schmerzten, als wäre in seinen Adern nicht länger Blut, sondern ein Strom winziger, reißender Eiskristalle, die ihn langsam von innen heraus zerschnitten. Aber er wußte, daß der Schmerz bald vergehen würde. Es war kalt, jedoch nicht mehr so kalt, daß ihnen wirklich Gefahr drohte. Die Temperaturen lagen hier, im Schütze des Talkessels, nur mehr dicht unter dem Gefrierpunkt. Tief genug, um zu erfrieren, wenn man ruhig lag und schlief, aber längst nicht kalt genug, einen Mann, der sich bewegte und warm gekleidet war, ernsthaft in Gefahr zu bringen.
Die Stille fiel ihm auf. Obwohl sich zehn Personen und fast doppelt soviel Pferde in dem Talkessel aufhielten, schien das an– und abschwellende Heulen des Windes der einzige hörbare Laut zu sein. Er zog die Decke enger um die Schultern und hielt nach Arsan Ausschau. Der Kohoner stand am gegenüberliegenden Rand des Kessels, unweit des Höhlenausgangs. Es war nicht zu erkennen, was er tat oder ob er überhaupt etwas tat. Er schien einfach dazuste-
hen und in die Finsternis jenseits des gezackten Loches zu starren. Skar ging um das Feuer herum, trat mit einem großen Schritt über den schlafenden Zwerg hinweg und stapfte langsam zu Arsan hinüber.
Der Kohoner wandte den Kopf, als er Skars Schritte hinter sich hörte. Für einen Moment wirkte der Blick seiner Augen leer, allenfalls ein wenig verwirrt, als erwache er aus einem tiefen Schlaf und frage sich ernsthaft, wie er hierher gekommen sei und was er überhaupt hier suchte; dann lächelte er.
»Glaubst du, daß es jetzt ungefährlich ist, hineinzugehen?« fragte er anstelle einer Begrüßung.
Skar starrte sekundenlang in die gezackte, wie hineingesprengt wirkende Öffnung in der Felswand und hob die Schultern. Er kannte diesen Teil des Gebirges nicht, ebensowenig wie Arsan oder einer der anderen ihn kannte, aber eine der ersten Regeln, die sie gelernt hatten, war, niemals nach Dunkelwerden in eine Höhle zu gehen. Er wußte nicht viel über Schneespinnen — eigentlich nicht viel mehr, als daß es sie gab, daß sie ausschließlich in diesem Teil der Welt und auch
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