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Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schon war. Der Wind riß die Silben von seinen Lippen und trug sie davon, aber Gowenna verstand ihn trotzdem.
    »Auf dem einzig möglichen Weg«, antwortete sie. Sie löste sich von der Wand, trat neben ihn und deutete nach Süden. Die Ebene war noch immer unter wirbelnden Schneewolken verborgen.
    »Dort entlang. Wir sind im Vorteil, Skar. Sie weiß nicht, daß wir noch leben, und sie weiß nicht, daß wir auf dem Weg zu ihr sind. Wenn wir sie überraschen können, haben wir eine Chance.«
    »Das habe ich nicht gemeint«, sagte Skar.
    »Ich weiß. Aber die Frage, die du wirklich gemeint hast, kann ich dir nicht beantworten. Ich weiß nicht, was sie mit deinem Freund gemacht hat, und ich weiß nicht, wie oder ob man es überhaupt wird rückgängig machen können.«
    »Du hast das Wissen einer Errish.«
    Gowenna lächelte. »Sicher«, murmelte sie. »Wenn ich es überlebe, und wenn du es dann noch willst, werde ich ihm helfen, irgendwie.«
    »Irgendwie ...« Skar ließ das Wort langsam auf der Zunge zergehen. Es hatte einen bitteren Beigeschmack, einen von Niederlage und Tod. Irgendwie würde es weitergehen. Er hatte sich schon einmal auf dieses Wort eingelassen, hatte geglaubt, Velas Pläne irgendwie durchkreuzen zu können, vor einer Ewigkeit in Ikne. Das einzige, was er bisher geschafft hatte, war irgendwie zu überleben. Und auch das war nicht endgültig.
    Er atmete hörbar ein. »Eine Frage noch, Gowenna«, sagte er, ohne den Blick von der Ebene zu wenden.
    »Ja?«
    »Del«, sagte er. »Welche Rolle spielt er? Nur die eines Kriegers? Oder braucht sie ihn so wie mich oder dich?«
    »Er spielt keine Rolle«, antwortete Gowenna. »Er war zufällig bei dir, das ist alles. Sie benutzte ihn als Druckmittel, aber hätte es ihn nicht gegeben, hätte sie etwas anderes gefunden. Er lebt wohl nur noch, weil er ein Satai ist und zwanzig ihrer Krieger ersetzt.
    Er spielt keine Rolle. Sie hätte etwas anderes gefunden, um dich zu erpressen — eine Frau, ein Mädchen ... Hast du ein Mädchen, irgendwo?«
    Skar antwortete nicht. Er hatte Frauen gehabt, zu Dutzenden. Einem Satai fiel es nicht schwer, für ein paar Stunden Gunst zu erkaufen, mit Gold oder seinem Ruf. Aber in dem Sinn, in dem Gowenna die Frage gestellt hatte?
    »Ja«, sagte er nach einer Weile. »Aber es ist lange her. Und ... ich habe eigentlich erst hinterher begriffen, daß ich sie geliebt habe. Es ist vorbei.«
    »Sie hätte etwas gefunden, sei sicher«, sagte Gowenna. »Aber Del — Del als Person — spielt keine Rolle. Er ist dein Freund, mehr nicht.«
    Mehr nicht... Skar ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Du wirst es nie begreifen, Gowenna«, sagte er. »Du wirst nie begreifen, daß man Menschenleben und Schicksale nicht in Zahlen und Ziffern ausdrücken kann. Del ist mehr als ein Freund für mich. Aber das wirst du nicht verstehen.«
    »Doch, Skar«, flüsterte Gowenna »Ich weiß, was er dir bedeutet. Du sprichst fast nie über ihn, und ich glaube beinahe, daß du es versucht hast, ihn aus deinen Gedanken zu verbannen. Aber ich weiß genau, wie du fühlst. Er ist ein Teil von dir, nicht nur dein Freund.« Sie zögerte, senkte für einen Moment den Blick und sah ihn dann offen an. »Du bist nicht der einzige, der etwas verloren hat, Skar«, fuhr sie fort. »Sieh mich an. Sieh dir genau an, was sie mir angetan hat, und dann sag mir noch einmal, daß ich sie nicht hassen darf.« Sie streifte mit einer raschen Bewegung ihre Kapuze zurück, nahm seine Hand und drückte sie auf das verbrannte Gewebe ihres Gesichts.
    Skar unterdrückte mit Mühe ein Schaudern. Das verschmorte Fleisch sah hart und trocken aus, aber es fühlte sich warm und feucht an, voller pulsierendem Leben, als hätte der ätzende Staub, der es gestreift hatte, seine Schönheit nicht zerstört, sondern nur eingesperrt, gefangen in einem Mantel aus eiteriger Häßlichkeit, unter der sie weiterlebte, angekettet wie ein gefangenes Tier, schrie, schrie, schrie .. . Er widerstand der Versuchung, seine Fin-
    ger zurückzuziehen, sondern hob statt dessen auch noch die andere Hand und berührte sanft ihre Lippen, führ mit den Fingerspitzen über das verbrannte bräunliche Narbengewebe, weiter über die unsichtbare Grenze, die die Lähmung durch ihr Gesicht gezogen hatte, über gesundes, weiches, bebendes, verlockendes Fleisch, berührte ihren Mundwinkel und fuhr den Weg zurück, der Krümmung der Unterlippe folgend, hinein in den Bereich, wo ihr Gesicht taub und entstellt war. Gowenna erbebte

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