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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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was er als Vergleichsmaßstab hätte heranziehen können. Trotzdem konnte er bereits das Geräusch des Wassers hören: ein dumpfes Murmeln und Raunen wie von weit entfernten Stimmen, ein Laut, der nach Feuchtigkeit und Kälte klang und ihn für einen winzigen Moment frösteln ließ.
    Sein Pferd begann unruhig mit den Hufen zu scharren. Das Tier war durstig — wie er und Herger hatte es vor anderthalb Tagen das letzte Mal getrunken, eine schlammige braune Brühe aus einem stehenden Wasserloch, das die Bezeichnung Tränke selbst mit sehr viel gutem Willen kaum verdiente. Jetzt spürte das Tier die Nähe des Wassers und wollte hinunter. Auch Skars Lippen wa-
    ren rissig vor Durst, und sein Gaumen fühlte sich pelzig an. Aber er beherrschte sich. Die letzten beiden Tage waren sie im Schutze des Waldes geritten, doch nun war vor ihnen nichts mehr, was als Deckung hätte dienen können; weder auf dieser Seite des Flusses noch auf der anderen.
    Sein Pferd begann sich stärker gegen den Zug der Zügel zu stemmen, und Skar sah sich ungeduldig um. Herger war dicht hinter ihm; der Hufschlag seines Pferdes hatte Skar seit Tagesanbruch wie ein arhythmisches Echo begleitet. Trotzdem schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe sich das Unterholz teilte und die gebeugte Gestalt des Schmugglers aus dem Wald heraustrat. Er war abgesessen und führte sein Pferd am Zügel. Sie wechselten sich in dieser Marschordnung ab, um die Kräfte der Pferde zu schonen: Mal ritt er voraus, und Skar führte sein Tier am Zügel neben sich her, mal — wie jetzt — übernahm Skar die Führung, und Herger folgte in geringem Abstand. Sie kamen auf diese Weise nicht halb so schnell voran, wie Skar es sich gewünscht hätte. Aber die Tiere waren am Ende.
    So wie ihre Reiter,
fügte er in Gedanken hinzu.
    Herger blieb neben ihm stehen, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und blinzelte mehrmals hintereinander. Die Sonne stand — obwohl sie erst vor wenigen Augenblicken aufgegangen war — bereits als weißglühender Ball über dem Horizont, und ihr Licht war hart und schmerzhaft.
    »Ist das der Fluß, von dem du gesprochen hast?« fragte er.
    Herger zögerte einen Moment. Er seufzte, blickte erst nach rechts, dann nach links, als müsse er sich das Bild mühsam ins Gedächtnis zurückrufen und mit seiner Erinnerung vergleichen, und nickte dann. »Der Eisfluß«:, bestätigte er. »Wir haben die Hälfte geschafft.«
    Vielleicht — sicher — waren seine Worte als Aufmunterung gedacht gewesen, aber wenn sie bei Skar überhaupt etwas bewirkten, so eher das Gegenteil. »Die Hälfte«, murmelte er. »Das heißt noch einmal zehn Tage.«
    Herger sah ihn nachdenklich an, krauste die Stirn und schüt-
    telte schließlich den Kopf. »Eher zwölf, fürchte ich«, sagte er. »Der Wald endet hier — von jetzt an werden wir vorsichtiger reiten müssen.«
    Skar antwortete nicht darauf. Es gab auch nichts, was er hätte sagen können. Sie hatten viel geredet, aber ihre Gespräche waren mit jedem Tag mehr verflacht, wie Rinnsale versickert in der unglaublichen Weite des Landes, das sie durchquerten. Alles, was zu sagen war, war gesagt worden, und weder Herger noch er waren Männer, die Freude daran fanden, das gleiche mit anderen Worten immer wieder neu zu sagen. Vielleicht, dachte er, lag es auch nur daran, daß er zu weit gewandert war. Wie viele Meilen hatte er zurückgelegt in den letzten Monaten? Viertausend? Fünftausend? Wie viele Hufschläge? Wie viele Worte, die nur gesprochen worden waren, um die Eintönigkeit zu vertreiben?
    Herger kletterte mit sichtlicher Anstrengung aus dem Sattel, fuhr sich erneut — und diesmal eindeutig müde — mit der Hand über das Gesicht und sah zum Fluß hinunter. Sein rechtes Auge blinzelte noch immer. »Seltsam«, murmelte er.
    »Was?«
    Herger deutete mit einer Kopfbewegung nach unten. »Der Fluß führt zu viel Wasser«, sagte er. »Selbst für diese Jahreszeit. Und die Strömung ist zu stark.«
    Skar blickte stirnrunzelnd auf das gewundene braune Band hinunter. Er konnte nichts Außergewöhnliches entdecken, aber schließlich war er hier auch nicht zu Hause wie Herger.
    »Vielleicht hat die Schneeschmelze früher eingesetzt als sonst«, murmelte er ohne rechte Überzeugung.
    Herger blickte instinktiv nach Norden. Die Berge waren als graue, verwaschene Schemen irgendwo vor dem Horizont zu erkennen; graue Giganten mit blitzenden weißen Helmen, die hinter dem widerwillig weichenden Morgennebel allmählich

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