Enwor 4 - Der steinerne Wolf
selbst, daß er sich so hatte hinreißen lassen, »dann solltest du die Antwort kennen. Ich bin erst seit ein paar Stunden in diesem Land, aber selbst ein Blinder würde sehen, daß hier zu einem Krieg gerüstet wird.« Herger nickte ungerührt. »Wie überall«, sagte er. »Die Quorrl...«
»Du weißt so gut wie ich, daß es nicht nur um die Quorrl geht«, fiel ihm Skar ins Wort. »Hast du nicht gestern abend etwas Ähnliches gesagt?«
Herger schwieg einen Moment. Seine dunklen Augen musterten Skar mit einer Mischung aus Neugierde und allmählich aufkeimender Furcht. Vielleicht fragte er sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, dem Satai zu helfen.
»Ich weiß so wenig wie du, was in diesem Land vorgeht«, sagte er schließlich. »Natürlich ist der Zug gegen die Quorrl nur ein Vorwand, und das ist nicht einmal ein Geheimnis. Aber es steht uns nicht zu, an den Entschlüssen der
Errish
hemmzukritisieren. Seit tausend Jahren halten sie ihre schützende Hand über uns, und ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem es zu unserem Schaden gewesen wäre.«
Skar antwortete nicht gleich. Es war das erste Mal, daß Herger direkt über die wahren Herren dieses Landes, die
Errish,
sprach, und der unterwürfige Ton, in dem er es tat, überraschte ihn, vor allem nach dem Eindruck, den er bisher von Herger gewonnen hatte.
Aber hätte er das nicht erwarten müssen? Hätte er nicht noch vor wenigen Monaten ebenso geredet und gedacht? Die Ehrwürdigen Frauen waren seit jeher das Sinnbild für Gerechtigkeit und Ehre gewesen, eine kleine, verschworene Kaste, gleichermaßen gefürchtet wie geachtet, deren bloße Anwesenheit jeden Gedanken an Verrat und Betrug von vornherein lächerlich erscheinen ließ?
»Und es ist dir gleich, wenn dein Land zum Krieg rüstet?«
fragte Skar. Herger suchte einen Moment nach Worten. »Natürlich nicht«, sagte er. »Und das ist einer der Gründe, warum ich dich begleite. Ich ... bin nicht der einzige, der laut darüber nachdenkt, ob die Befugnisse der Thbarg wirklich so weit reichen, wie sie behaupten.«
Skar sah verwundert auf, aber Herger sprach schnell weiter.
»Skar,
wir
wissen, daß die
Errish
keine Hexen sind und nicht zaubern können. Und sie kümmern sich nicht viel um das, was hier im Lande vorgeht. Ein Befehl kann so oder so interpretiert werden. Krieg ...« Er sprach das Wort mit seltsamer Betonung aus. »Gegen wen? Gegen Kohon? Larn? Die Westländer?« Er lächelte und begleitete jeden Namen, den er aufzählte, mit einem überzeugten Kopfschütteln.
»Warum nicht gegen alle?« fragte Skar.
Herger erschrak, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. »Warum nicht gleich gegen die ganze Welt?« In seiner Stimme war eine ganz leise Spur von Unsicherheit.
»Vielleicht«, murmelte Skar.
Herger antwortete nicht mehr, sondern sah Skar nur mit wachsendem Schrecken an und blickte dann abrupt weg. Er hatte sich auch weiter in der Gewalt, aber seine Hände krampfen sich ein wenig zu fest um die Zügel, und der Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte beinahe zu gefaßt.
Skar schüttelte verwirrt den Kopf. Was war nur mit ihm — mit ihnen beiden — los! Er versuchte sich an den Herger von gestern abend zu erinnern, aber es fiel ihm schwer. Von seiner übertriebenen, schon fast an Überheblichkeit erinnernden Selbstsicherheit war nicht viel geblieben, und er spürte ganz genau, daß es unter der Maske aus Ruhe und nicht einmal sonderlich überzeugend wirkendem Spott, die Herger aufgesetzt hatte, brodelte. Es schien, als ritte er, Skar, jetzt neben einem völlig anderen Menschen, der nur noch zufällig Ähnlichkeit mit dem Herger hatte, zu dem der Freisegler ihn geführt hatte. Aber auch er selbst hatte sich verändert, mehr, als ihm bis jetzt klargeworden war.
»Dieser Zwerg«, sagte Herger plötzlich. »Tantor — das war doch sein Name?«
Skar nickte. Herger starrte noch immer unverwandt geradeaus, aber seine Stimme hatte sich erneut verändert; eine weitere Fra-cette des Chaos, das in seinem Inneren toben mußte.
»Ist das, was er erzählt hat, wahr?«
»Was meinst du?«
»Er sagt, daß du ihn ... verraten hast«, preßte Herger hervor.
»Wie hat er das gemeint?«
Skar zögerte. Er hatte nicht geglaubt, daß Herger sich so deutlich an Tantors Worte erinnerte; nicht nach allem, was geschehen war. Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, einfach mit nein zu antworten, aber irgend etwas hielt ihn zurück.
»Es... ist wahr«, sagte er leise. »Und auch wieder nicht.« Er
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