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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sonne auf und reflektierte es, so daß es aussah, als lodere das Land in dunkler, roter Glut. Die Felsen wurden nach und nach zu gewaltigen finsteren Schatten, den Mauern eines tödlichen Labyrinths, aus denen sie keinen Ausweg mehr finden würden, und die Dunkelheit ließ Spalten und Risse, denen sie noch vor wenigen Augenblicken hätten ausweichen können, zu todbringenden Fallgruben werden, die warnungslos vor ihnen aufklafften. So wie dieses Land tot war, schienen die Berge plötzlich zu eigenständigem Leben erwacht zu sein: Giganten, die von einem bösen, lauernden Geist beseelt waren, der alles in seiner Macht Stehende tun würde, sie zu vernichten. Irgendwo in der Dunkelheit vor Skar erscholl ein spitzer abgehackter Schrei, gefolgt von einem dumpfen Schlag und einem lang anhaltenden Bersten und Poltern.
    Neunzehn, dachte er. Er versuchte vergeblich, die Laute, die er gehört hatte, mit dem Bild eines Menschen in Zusammenhang zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Er war abgestumpft, unfähig, noch irgend etwas zu empfinden, und auch das war eine Auswirkung dieses Landes, der Atem des Todes, der wie eine drückende Last über allem lag. Er tötete die Sinne. Erst die Gefühle, die Empfindungen, dann würde er vielleicht aufhören, Schmerzen zu fühlen. Zum Schluß würde seine Seele sterben und dann, kurz danach, sein Körper. Alles wurde irreal, verschwamm, und für einen kurzen Moment hatte er Mühe, sich darauf zu besinnen, wo er war.
    Jemand berührte ihn an der Schulter, und er wußte, noch bevor er den Kopf wandte, daß es Del war. Wie Helth war der junge Satai den ganzen Tag über nicht aus seiner Nähe gewichen, hatte sich aber trotzdem im Hintergrund gehalten.
    »Du bist krank, Skar«, sagte Del sanft.
    Skar schlug seine Hand mit einer übertrieben heftigen Bewegung zur Seite und zog eine Grimasse. »Das bin ich nicht«, verneinte er rauh. Seine Stimme zitterte.
    »Du brauchst Ruhe«, widersprach Del, ohne seine Worte zu beachten. »Du bist nicht so stark, wie du glaubst. Nicht mehr.«
    Es fiel Skar schwer, Dels Worten zu folgen. Wieder begann das Bild vor seinen Augen zu verschwimmen, und er mußte sich an der Schulter des jungen Satai festhalten, um nicht auf dem glatten Boden das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen. Del hob die Hand und berührte ihn im Gesicht. »Du hast Fieber«, stellte er fest. Seine Finger fühlten sich kühl und trocken an; wie Schlangenhaut. Es waren nicht Dels Finger, die nicht in Ordnung waren, sondern er. Aber die Berührung gab ihm auch Kraft, beinahe, als hätte Del ihm damit etwas von seiner Jugend und Stärke übertragen.
    »Einer der Freisegler hat eine Höhle entdeckt«, sagte Del. »Wir können die Nacht dort verbringen.«
    Skar nickte stumm. Er hatte nicht mehr die Kraft zu widersprechen.
    Del ergriff ihn am Arm und führte ihn mit sanftem Druck neben sich her.
    Sie bewegten sich tiefer in den Schatten der Berge hinein, wichen ein Stück von ihrem bisherigen Kurs ab und betraten eine schmale, mit Geröll und Eistrümmern angefüllte Schlucht. Meilen entfernt, wie es Skar vorkam, glomm das trübe Licht einer Fackel. In ihrem Schein war der Eingang einer Höhle zu erkennen.
    Skar befreite sich aus Dels Griff und ging die letzten Schritte aus eigener Kraft. Er war kaum in der Position, sich noch Stolz leisten zu können, aber er wollte nicht, daß die Freisegler sahen, wie schwach er wirklich war. Manchmal, dachte er bitter, war es nicht leicht, ein Vorbild sein zu müssen.
    Vorsichtig ging er zwischen den kreuz und quer daliegenden Felsen hindurch, stieg, die Arme wie ein Seiltänzer ausgebreitet, um das Gleichgewicht zu halten, über titanische Eisschollen, die wie Glas vom Himmel gestürzt waren, und bückte sich, um in die Höhle hineinsehen zu können.
    Im ersten Moment sah er nichts. Die einzelne Fackel, die einer der Männer entzündet und in einen Riß direkt neben dem Eingang gesteckt hatte, spendete kaum genug Licht, um mehr als vage Schatten erkennen zu können, und aus der Tiefe der Höhle wogte Dunkelheit wie eine körperlose schwarze Welle heran. Skar richtete sich auf, sah zurück und lehnte sich gegen die Wand, um seine Schwäche zu verbergen. Die Männer schleppten sich in einer weit auseinandergezogenen Kette an ihm vorbei und verschwanden gebückt oder auf Händen und Knien kriechend im Inneren des Berges.
    Das Schwindelgefühl in seinem Kopf verging allmählich. Der Schwächeanfall war vorüber, aber Skar wußte, daß er wiederkommen würde.

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