Enwor 5 - Das schwarze Schiff
sprach trotzdem weiter, redete, mit einem Mal flüssig, mit ruhiger, überlegter und fast suggestiv klingender Stimme und versprach Helth eine Hoffnung, die nicht existierte. »Ich könnte dich bitten, mir ein letztes Mal zu vertrauen, Helth, aber das werde ich nicht tun. Ich befehle es dir. Ich verspreche dir kein neues Schiff, nicht einmal dein Leben, aber ich verspreche dir, daß derjenige, welcher den Untergang der SHAROKAAN auf dem Gewissen hat, dafür bezahlen wird. Wir werden ihn entweder vernichten oder selbst untergehen. Aber ich lasse nicht zu, daß deine Männer ihr Leben wegwerfen.
Ich lasse nicht zu, daß du es wegwirfst, Helth.«
Es waren nicht seine Worte, die ihm da so glatt über die Lippen kamen, sondern Worte, die ihm das
Ding
in seinem Inneren eingab. Er spürte es, fühlte, wie es wie eine schwarze, brodelnde Woge aus den tiefsten Abgründen seiner Seele emporquoll, seine Gedanken, seinen Willen überflutete und sein Bewußtsein in ein Netz undurchdringlicher Finsternis einzuspinnen begann. Aber er wehrte sich nicht mehr dagegen. Er hatte es zu oft getan, und jetzt fehlte ihm die Kraft dazu.
Im gleichen Moment, in dem er den Fuß auf den Leib des Dronte gesetzt hatte, war es erwacht, und es war stärker als je zuvor.
»Dort drüben, Helth«, sagte er mit einer theatralischen, weit ausholenden Geste, »irgendwo hinter den Bergen wird die Entscheidung fallen. Vielleicht werden wir alle sterben, bevor wir ihnen auch nur nahe kommen, aber wenn, dann haben wir es wenigstens versucht. Du willst nicht, daß deine Männer wie die Tiere krepieren — das waren doch deine Worte. Du hast die Wahl: Ihr könnt hierbleiben und sterben, oder ihr könnt euch zum Kampf stellen, wie es sich für freie Männer gehört. Tiere, Helth, legen sich hin und sterben, wenn sie keinen Ausweg mehr sehen. Menschen kämpfen.«
»Und sterben ebenfalls.«
»Manchmal«, schränkte Skar ein. »Aber manchmal siegen sie auch und leben weiter.« Seine Worte waren fast das genaue Gegenteil von dem, was er noch vor Augenblicken gesagt hatte, aber Helth schien das nicht zu merken. Er hatte gewonnen. Er spürte es, noch bevor er in Helth' Augen sah und den Ausdruck darin erkannte. Seine Worte waren von fast hypnotischer Eindringlichkeit gewesen; Helth war keine Chance geblieben, sich zu wehren. Er war ein Kind im Körper eines Mannes, auf seine Art naiv und verletzlich, und Skars Worte hatten ihn an seiner verwundbarsten Stelle getroffen. Er hatte ihn daran erinnert, als was er gelebt, woran er geglaubt hatte. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte Helth vielleicht darüber gelacht, aber was geschehen war, hatte die Mauern, die er um sich herum aufgerichtet hatte, durchbrochen und ihn verletzlich werden lassen. Seine Welt war zusammengestürzt, Stück für Stück, und alles, was ihm geblieben war, waren Erinnerungen. Skar gab ihm die Chance, sie noch einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, auferstehen zu lassen.
Aber er hatte ihn belogen. Es gab keinen ehrenvollen Tod, nicht hier und nicht für diese Männer, und es wäre barmherziger und — wenn er das Wort schon benutzen wollte — wohl auch ehrenhafter gewesen, sie hier in Ruhe sterben zu lassen.
Es muß sein,
wisperte die Stimme in ihm.
Sie werden dir gehorchen, ohne Fragen zu stellen. Sie werden deinen Worten glauben, Skar. Dir.
Er schloß die Augen und versuchte das Wispern dahin zurückzudrängen, wo es hergekommen war, aber es ging nicht. Das Ungeheuer war erwacht, und er begann zu begreifen, daß er bisher nur einen winzigen Teil seiner wahren Macht zu spüren bekommen hatte.
Sie vertrauen dir, Skar,
fuhr die Stimme fort, leise, einschmeichelnd und die ganze Zeit von einem Geräusch wie von einem fernen leisen Lachen untermalt.
Sie haben dir schon einmal vertraut, Skar. Du hast versagt. Aber sie werden dir noch einmal vertrauen, nicht weil du Satai bist, sondern nur, weil du
DU
bist, weil Rayan ihnen gesagt hat, daß sie dir vertrauen sollen. Diesmal wirst du sie nicht enttäuschen. Aber du wirst sie belügen. Weil du sie brauchst. Weil du ihre Körper brauchst. Ihre Waffen. Weil du sie zu Werkzeugen machen mußt, wenn du diesen Kampf gewinnen willst.
Skar drehte sich mit einer abrupten Bewegung um und wandte das Gesicht nach Westen, so daß es aussah, als starre er zu ihren Verfolgern hinüber. Seine Hände ballten sich in hilflosem Zorn zu Fäusten, aber es lag keine Kraft mehr in dieser Bewegung.
D er Abend dämmerte schon, als sie die Ebene hinter
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