Enwor 5 - Das schwarze Schiff
begegnet, hätte er gewußt, wer Gowenna in Wirklichkeit war. Und er hätte sich ebenso geweigert, mit einem Wechselbalg in der Gestalt Dels zu reisen. »Mußte ich es denn?« fragte er. »Yar-gan und du, ihr habt die Macht von Göttern«, sagte er bitter. »Oh, ich weiß, daß ihr es nicht seid, aber ihr habt die Macht von Göttern, und ich bin nichts als ein normaler Mensch. Was kann ich tun, das ihr nicht tausendmal besser könntet?«
Statt einer Antwort hob Gowenna abermals die Hand und berührte ihn flüchtig an der Stirn, und Skar spürte, wie das
Ding
in seinem Inneren zurückprallte und sich mit einem lautlosen Schmerzensschrei in die tiefsten Abgründe seiner Seele flüchtete, dorthin, wo es selbst vor Gowenna in Sicherheit war. Für einen Moment schwindelte ihm.
»Das Kind«, sagte Gowenna ernst. »Es wird geboren werden, Skar, noch heute.
Dein
Kind.«
Mein Kind?
dachte er.
Oder das Kind meines Dunklen Bruders?
Hatte ihm nicht Vela deutlich genug gesagt, daß es das Erbe dieses
Dinges
in ihm war, das in seinem Kind weiterleben würde, daß es
seine
Kräfte waren, tausendmal stärker als in ihm selbst, über die sein Sohn gebieten würde?
»Weder ich noch Yar-gan könnten ihm widerstehen, Skar«, fuhr Gowenna fort. »Du kannst es.«
»Und was soll ich tun?« fragte er bitter. »Es töten?«
»Vielleicht«, antwortete sie leise. »Ich hoffe, daß wir einen anderen Weg finden, Skar. Aber es kann sein, daß uns nur dieser Ausweg bleibt. Vielleicht mußt du es töten, Skar, dein eigenes Kind. Doch wenn, dann nicht mit deinen Händen oder deinem Schwert.«
Er war sich nicht sicher, ob er wirklich verstand, was Gowenna meinte, und etwas in ihm schreckte davor zurück, es auch nur zu versuchen. Aber er spürte, daß er es wissen würde, wenn es soweit war. »Das Kind...«, murmelte er. Sein Blick glitt über die reglose Gestalt der Errish. Wieder lief ein rascher, schmerzhafter Schauer durch ihren Körper. Die Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich. Ihre Haut wirkte fast transparent.
»Die Wehen haben begonnen«, sagte Gowenna leise. »Schon vor Stunden. Es ist fast soweit.«
»Hast du es deshalb nicht getan?« fragte Skar mit einer Kopfbewegung auf die dunklen Linien aus geronnenem Blut und die breiten, noch feuchten Wunden an den Innenseiten ihrer Handgelenke. Gowenna starrte ihn an, und Skar senkte betreten den Blick.
»Verzeih«, murmelte er. »Das... wollte ich nicht sagen. Es tut mir leid.«
Gowenna winkte ab. »Ich glaube, wir haben uns gegenseitig zu viel angetan, als daß einer von uns den anderen noch für irgend etwas um Verzeihung bitten müßte«, sagte sie lächelnd. Mit einer unbewußten Geste strich sie durch das Haar und griff nach ihrem Mantel. Skar spürte plötzlich, wie kalt es trotz der prasselnden Flammen hier drinnen war. Das Feuer konnte den Atem des Winters nicht wirklich vertreiben.
»Sie stirbt«, fuhr Gowenna fort, während sie den Mantel überstreifte und seine Spangen schloß. »Ich hoffe nur, sie hält durch, bis das Kind geboren ist.«
»Kannst du... nichts für sie tun?« fragte Skar stockend.
Gowenna verneinte. »Mit leeren Händen?« Ein trauriges Lächeln huschte über ihre Züge. Sie stand auf, ging gebückt zu den beiden Feuerschalen hinüber und warf neues Holz in die Flammen. Skar sah, daß sie es achtlos aus einer der Seitenwände gehackt und kleingetreten hatte. Das Holz war steinhart, aber offensichtlich so spröde, daß es schon unter
der
geringsten Belastung zerbrach. »Wir Errish vermögen zu heilen und zu helfen«, stellte sie fest, ohne ihn anzusehen, »aber nicht zu zaubern.«
Skar dachte an die Berührung ihrer Hände und den Schmerz, den sie dem
Ding
in seinem Innersten zugefügt hatte, aber er schwieg. Gowenna kam zurück, ließ sich ihm gegenüber auf die Knie sinken und beugte sich für einen Moment über die schlafende Errish. »Warum gehst du nicht zurück und holst Yar-gan und die anderen?« fragte sie. »Wir werden mit diesen Schiffen nicht fortkommen, aber es wartet sich besser hier drinnen. Es ist wärmer.«
»Warten?« wiederholte Skar. »Worauf?«
Gowenna deutete stumm auf Velas Leib.
»Und dann?« fragte Skar. Ein seltsames Gefühl der Verzweiflung machte sich in ihm breit. »Was ist dann, Gowenna? Was soll ich ihnen sagen — daß es keine Schiffe gibt und sie nach Hause schwimmen müssen?«
Er hatte sie mit diesen Worten verletzen wollen, aber Gowennas Miene blieb unverändert ausdruckslos. »Was ist dann?«
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