Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Ihr Antlitz wirkte fahl im roten Licht der Flammen, und ein einzelner Blutstropfen lief über ihre aufgesprungene Lippe und fiel auf Velas Stirn. Velas Augenlider bebten, ganz leicht nur, und ein kurzer, rascher Schauer lief durch ihren Körper. Skar blickte verwirrt von ihr zu Gowenna.
»Ich... konnte... es... nicht...«, flüsterte Gowenna. »Ich... Skar, ich...« Sie brach ab, begann zu schluchzen und sank plötzlich nach vorne. Ein Weinkrampf schüttelte ihren Körper.
Skar ging vorsichtig um Vela herum, ließ sich neben Gowenna auf die Knie sinken und hob die Hand, zog die Finger aber zurück, ehe sie Gowennas Schulter berühren konnten. Plötzlich begriff er, was geschehen war, obwohl er dieses Begreifen weder in Worte noch in Gedanken zu kleiden imstande war. Er wußte, woher Gowenna diese unglaubliche übermenschliche Kraft bezogen hatte, eine Kraft, auf die selbst er manchmal neidisch gewesen war. Ihre Worte fielen ihm ein:
»Ich werde sie suchen. Skar. Ich werde weiterleben, und ich werde Vela finden, ganz egal, wo sie sich versteckt. Ich werde sie finden. Und ich werde sie töten.
Sie hatte es getan. Sie hatte sie gejagt bis ans Ende der Welt und darüber hinaus, und doch würde sie ihren Schwur nicht wahrmachen.
Sie konnte es nicht. Sie hatte das Wissen, und sie hatte die Macht, die nötig waren, das verbotene Zeremoniell des
Sai-tan
zu vollziehen. Und doch konnte sie es nicht. So wenig, wie er seinem Dunklen Bruder nachzugeben und sich damit seiner Macht zu bedienen in der Lage war, konnte sie den Rest von Menschlichkeit, den Teil von sich, den sie all die Jahre mühsam tief in ihr Inneres verbannt und begraben hatte, besiegen. »Gowenna«, sagte er leise. »Du —«
Sie sah auf, drehte mühsam den Kopf und blickte ihn an. Der Streifen weißen Haares über ihrer verbrannten Gesichtshälfte war breiter geworden. »Nenn mich nicht so.« Sie weinte nicht mehr, und ihre Stimme klang fest, noch immer sehr leise und kraftlos, aber beherrscht. Etwas von ihrer Kraft war noch immer in ihr. »Das ist nicht mein Name. Gowenna ist gestorben, vor langer Zeit, Skar.«
»Ich weiß.« Er nickte, beugte sich vor und griff nach ihrer Hand. Er führte die Bewegung nicht zu Ende, aber nach einer Weile hob Gowenna die Finger und berührte ganz leicht seinen Handrücken. Ihre Haut war kalt. »Sie starb vor den Toren Combats, nicht? Und Kiina lebt.« Er zögerte, legte das Schwert zu Boden und legte die Hand auf ihre Schulter. Gowenna schauderte, und für einen winzigen Moment glaubte er, sie würde seine Hand abstreifen und ihn zurückstoßen, aber dann tat sie das Gegenteil, umklammerte sie mit aller Kraft und ließ sich gegen ihn sinken. »Die Frau, die ich als Gowenna kennenlernte, hätte niemals den Thron Elays besteigen können.«
»Du... weißt es?« fragte Gowenna.
»Ja, ich weiß es, Gowenna...«
Kiina, verbesserte er sich in Gedanken. Es fiel ihm schwer, sich an diesen Namen zu gewöhnen, aber er würde es müssen. Nach Del und Helth war nun auch sie nicht mehr der Mensch, an dessen Seite er aufgebrochen war, und er fragte sich unwillkürlich, ob er der nächste sein würde und wenn, ob die Veränderung vielleicht schon begonnen hatte, ohne daß er es selbst spürte. Gowenna löste sich aus seinen Armen, setzte sich auf und widerstand im letzten Moment der Versuchung, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. »Der Sumpfmann hat es dir gesagt.«
Er nickte. Für einen Moment war er überrascht, daß Gowenna das Geheimnis des Sumpfmannes kannte, aber dann fiel ihm wieder ein, daß sie längst nicht mehr auf die beschränkten Möglichkeiten, Wissen und Erkenntnis zu erlangen, die ihm zur Verfügung standen, angewiesen war. Im Grunde begriff er erst jetzt wirklich,
wem
er gegenübersaß. Es war nicht irgendeine Frau, nicht irgend jemand, der über ein paar besondere Fähigkeiten und ein bißchen geheimes Wissen verfügte, sondern die
Margoi
der Errish. Vielleicht gab es auf dieser ganzen Welt niemanden, der so viel verbotenes Wissen und eine so gewaltige geistige Kraft in sich vereinigte wie sie.
»Ja«, sagte er leise. »Als du... als du fort warst. Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Ich konnte es nicht«, antwortete Gowenna ernst. Sie wirkte jetzt sehr viel gefaßter. »Du wärst nicht mitgekommen, wenn du die Wahrheit gewußt hättest. Weder über mich noch über Yar-gan.«
Skar überlegte einen Moment und nickte. Sie hatte recht. Er wäre zurückgeschreckt wie ein Kind, das unversehens einem Gott
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