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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einen Moment die Augen und lauschte.
    Jetzt, als die Tür geöffnet war, erfüllten die Flammen den Gang mit einer Vielzahl knisternder und knackender Laute. Geräusche, die ihn die Kälte, die sich in seinen Gliedern eingenistet hatte, doppelt schmerzhaft spüren ließen, und nach einer Weile glaubte er eine menschliche Stimme zu hören, eine Stimme, die Worte in einer Sprache murmelte, die ihm fremd war und die ihm trotzdem auf eine seltsame Weise bekannt vorkam, als hätte er ihre Klangfarbe, ihren Ton schon unzählige Male gehört, ohne sich erinnern zu können, wo.
    Dann glaubte er Weinen zu hören, ein schmerzhaftes, nur mit Mühe unterdrücktes Schluchzen, dazwischen kratzende, harte Geräusche, als schramme Stahl über Stein oder Horn. Skar blieb noch eine weitere Sekunde reglos stehen, dann spannte er sich und trat mit einem entschlossenen Schritt durch die Tür und zog gleichzeitig sein Schwert. Seltsamerweise überraschte ihn der Anblick kaum. Im Gegenteil.
    Nach allem, was geschehen war, schien es ihm nur logisch, er empfand keinen Schrecken, keinen Zorn, nicht einmal Erstaunen — und wenn, so höchstens darüber, daß er nicht schon vor langer Zeit erkannt hatte, was Gowenna wirklich plante.
    Sie waren beide da: Gowenna und die Errish. Dieses versteinerte Schiff am Rande der toten Stadt war der Endpunkt ihrer Wanderung, für jede der beiden Frauen auf ihre Weise.
    Skar kam sich plötzlich albern vor, wie er so dastand, geduckt, jeder einzelne Muskel in seinem Körper gespannt und bereit zum Sprung, das Schwert so fest in der Hand, daß die Klinge vibrierte. Es gab hier nichts, wogegen
er
hätte kämpfen können. Der Kampf, der hier stattgefunden hatte, war vorüber. Schon lange.
    Mit einer fast verlegenen Bewegung richtete er sich auf, ließ die Waffe sinken und trat zwischen die beiden Feuerschalen, die den Raum mit flackernder Helligkeit erfüllten. Er fühlte sich betäubt, leer
    - und unsagbar dumm. Alles war so klar gewesen, daß er es hätte wissen müssen; spätestens in dem Moment, in dem ihn Yar-gan über Gowennas wahre Identität aufgeklärt hatte.
    Aber vielleicht hatte er es nicht wissen wollen.
    Die Wärme der beiden Feuerschalen wurde unangenehm. In den flachen eisernen Becken brannten Stücke des versteinerten Holzes, die Flammen schlugen beinahe meterhoch und schleuderten kleine glühende Funken gegen die Decke: Skar wich einen halben Schritt zurück und öffnete seinen Mantel. Das rote Licht verlieh dem Bild etwas Unwirkliches und ließ es wie eine bedrückende blutige Vision erscheinen: eine irreale Szene aus einem Alptraum, verborgen hinter einem wogenden roten Schleier.
    Gowenna sah ihn an, aber ihr Blick war leer und ins Nirgendwo gerichtet; sie sah zu ihm hin, aber sie sah ihn nicht. Eine einzelne Träne lief aus ihrem erloschenen Auge und malte eine dünne, glitzernde Spur in das verhärtete Narbengewebe darunter; er gewahrte es mit einer geradezu absurden Klarheit. Sein Gesichtssinn schien plötzlich verändert und nur noch selektiv zu funktionieren. Das Bild verschwamm immer stärker vor seinen Augen, aber er sah andere Dinge überdeutlich. Gowennas Haltung war verkrampft, wie die eines Menschen, der unerträgliche Qualen aussteht. Ihr Mund war zusammengepreßt, so fest, daß sich ihre Zähne in die Unterlippe gegraben hatten und Blut über ihr Kinn lief. Trotz der niedrigen Temperaturen hier drinnen trug sie nur ein dünnes, halb durchsichtiges graues Kleid; ihr Körper zitterte vor Kälte. Ihre Hände lagen, nebeneinander und so weiß, als gehörten sie nicht mehr zu ihrem Körper, sondern wären bereits abgestorben und tot, auf Velas Gesicht, die Handballen auf Stirn und Schläfen gepreßt, die Daumen rechts und links der Nasenwurzel, die Mittelfinger auf ihren geschlossenen Lidern, so fest, als wolle sie ihr die Augen ausdrücken. Wie Gowenna war Vela nur in ein dünnes graues Kleid gehüllt; ihr aufgequollener Leib zeichnete sich deutlich darunter ab, ihre Hände waren verkrampft, die Beine angezogen und leicht gespreizt, ihre Haut war fleckig und von der Kälte angegriffen, Finger und Zehen wiesen dunkle Erfrierungen auf. Trotzdem erschien sie ihm schöner und verlockender als jemals zuvor. Ihr Gesicht wirkte friedlich und sanft, und wenn sie tot war, so mußte sie einen sehr friedlichen Tod gestorben sein. Keine Schmerzen und keine Qual mehr.
    Die Schwangerschaft verunstaltete ihren Körper, aber sie ließ ihn auch gleichzeitig fraulicher und weicher erscheinen;

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