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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich hinter seiner Stirn eingenistet hatten und schufen für einen kurzen — einen ganz kurzen —Moment so etwas wie Klarheit in seinen Gedanken.
    Einer der Männer strauchelte, versuchte mit einem raschen Schritt sein Gleichgewicht wiederzufinden, verlor aber auf dem unsicheren Boden dadurch erst vollends die Balance und fiel schwer auf die Knie. Der Laut, mit dem er auf das steinharte Eis prallte, drang wie ein dünner scharfer Schmerz durch den Mantel aus Lethargie, der sich für einen winzigen Moment um Skars Gedanken gelegt hatte. Der Mann wankte, versuchte sich auf Hände und Füße hochzustemmen und fiel unter dem Gewicht seines Bündels abermals nach vorne; Skar konnte es erkennen wie durch die Linse eines unsauber geschliffenen Telesko-pes, die nur einen winzigen verschwommenen Kreis der Wirklichkeit bestehen ließ, während ringsum das Nichts lauerte. Er wartete darauf, daß der Mann aufstehen würde, aber er blieb liegen. Sein Gesicht war verzerrt, aber nicht der leiseste Schmerzenslaut kam ihm über die Lippen, und die anderen gingen einfach an ihm vorbei, als hätten sie seinen Fall nicht einmal bemerkt. Er versuchte sich hochzustemmen, aber seine Arme knickten unter dem Gewicht seines Körpers ein, und er stürzte ein drittes Mal schwer auf das glasharte Eis, das unter der trügerischen Decke aus Schnee lauerte. Erst beim vierten Versuch gelang es ihm, auf die Beine zu kommen und weiterzutaumeln.
    Sie sind tot, dachte Skar mit einer seltsamen Mischung aus Resignation und Schrecken. Helth hatte recht. Seine Reaktion war falsch, aber er hatte recht. Der Dronte hat nicht nur die SHAROKAAN verbrannt, sondern auch ihr Leben. Sie sind tot. Ein Heer lebender Leichname, das nur noch weitermarschierte, weil er es befahl und sie ihm irgendwann einmal die Treue geschworen hatten. Weil sie ihm
vertrauten.
Aber er hatte sie enttäuscht. Sie hatten ihr Leben in seine Hände gelegt, und er hatte es verspielt. Von Helth war nur zu Ende gebracht worden, was von ihm begonnen worden war. Und alles, was Skar noch zu tun blieb, war, das Ende hinauszuzögern.
    Er drehte müde den Kopf und versuchte den jungen Veden zwischen den anderen Männern zu entdecken, konnte es aber nicht. Helth hatte seine durchnäßten Gewänder abgelegt und sich wahllos irgendwelche Kleider aus den Vorräten herausgegriffen, und es gab jetzt nichts mehr, was ihn noch von einem der anderen unterschieden hätte. Das letzte Mal, daß Skar ihn bewußt gesehen hatte, war während des Aufstieges gewesen. Sie hatten dem Freisegler und Del von ihrer Begegnung mit den beiden Eisriesen erzählt, aber auch auf Helth' Gesicht war als Antwort auf diese neuerliche Hiobsbotschaft nur Resignation und Fatalismus zu lesen, kein wirklicher Schrecken mehr.
    Er ist auch tot,
dachte Skar mit einem neuerlichen Anflug von Hysterie. Sein verzweifelter Angriff auf den Dronte war nicht mehr als ein kurzes Aufbegehren gewesen, ein letztes, kraftloses Flackern des Feuers, das einmal in ihm gebrannt hatte. Helth war im Grunde seiner Seele kein Vede. Er war Freisegler wie sein Vater, ein Mann, der für die Unendlichkeit des Meeres geboren war und nur dort wirklich leben konnte. Er war es immer gewesen und würde es immer bleiben. Mit seinen Kleidern hatte er auch seine Identität als Vede abgelegt; er war jetzt nicht mehr als ein müder verängstigter Mann unter anderen müden verängstigten Männern. Skar hatte für einen kurzen Augenblick darüber nachgedacht, wie Brad in dieser Situation reagiert hätte, aber er war zu keinem Ergebnis gekommen. Seltsam — es fiel ihm immer schwerer, sich auf den wortkargen Veden zu besinnen; die Erinnerung an ihn schien mit jedem Schritt ein kleines bißchen mehr zu verblassen. Nicht einmal sein Gesicht vermochte er sich noch vorzustellen —wenn er es versuchte, sah er nur eine verschwommene Fläche mit dünnen, konturlosen Linien, und selbst sie verschmolz sofort mit den weißen Schwaden vor ihm, verging, versank in der Vergangenheit, als hätte es sie nie gegeben.
    Ein grauer Schatten löste sich aus der Gruppe und kam durch den treibenden Schnee auf ihn zu. Skar erwachte für einen Moment aus seiner Lethargie, als er Del erkannte. Er und Vela waren die einzigen, die keine Last trugen. Selbst die Verwundeten hatten sich ihr Bündel aufgeladen, nur der junge Satai nicht. Es hatte ihn auch niemand darum gebeten. Von wenigen kurzen Ausnahmen abgesehen, trug er Vela. Sie war zu schwach zum Laufen.
    »Nun«, sagte Skar, »willst du

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