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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Oben und Unten, irgendeine beliebige Richtung, aufgegeben; es gab nur noch diese endlose blinkende Fläche aus mattglänzendem brüchigem Eis, die das schwache Licht der Sterne, das ab und zu zwischen den zerrissenen weißen Schleiern über ihren Köpfen sichtbar wurde, und die Geräusche ihres mühsamen Vorwärtsquälens wie ein gewaltiger schwarzer Schwamm aufsaugte, als wäre ihre Bewegung nicht mehr als bloße Illusion.
    Skar wechselte sein Bündel zum fünften oder sechsten Mal innerhalb der letzten halben Stunde auf die andere Schulter. Das Gewicht schien seinen Körper trotzdem wie eine Zentnerlast niederzudrücken, als schleppe er Felsbrocken statt ein paar Nahrungsmittel und Dek-ken. Er ging vornübergebeugt und schleppend wie ein alter Mann.
    Skar konnte fühlen, wie das Reservoir an Energie in seinem Inneren von Augenblick zu Augenblick zusammenschmolz. Seine Kräfte ließen jetzt rapide nach, und mit der Erschöpfung machte sich auch eine beständig stärker werdende Übelkeit in ihm breit. In seinem Mund war bitterer Kupfergeschmack, und seine Beine waren von den Knien abwärts taub; starre Klötze aus Eis, die jede Bewegung mit einer Welle stechender Schmerzen quittierten. Die Luft schien aus winzigen Eiskristallen zu bestehen, die seiner Kehle bei jedem Atemzug eine neue Anzahl kleiner schmerzhafter Schnitte zufügten.
    Sie waren unmittelbar nach seiner und Gowennas Rückkehr in die Höhle aufgebrochen. Keiner der Freisegler hatte auch nur mit einem Wort widersprochen, als Gowenna sie aufforderte, das Nötigste an Nahrung und Kleidungsstücken zusammenzupacken und auf die Eismauer hinaufzuschaffen, aber der Aufbruch kostete mehr Zeit, als Skar vorher geglaubt hatte. Die Männer waren erschöpft, ausgelaugt bis an den Rand des Zusammenbruchs, und es war, im nachhinein betrachtet, ein reines Wunder, daß der Aufstieg ohne Verletzte oder gar Tote abging.
    Seltsamerweise hatte sie auch der Dronte in Ruhe gelassen. Er brannte noch immer, als sie endlich losmarschiert waren.
    Jetzt waren sie unterwegs; eine Stunde, schätzte Skar, kaum daß sie sich eine, höchstens anderthalb Meilen nach Osten geschleppt hatten.
    Die Nacht mußte nahezu vorbei sein. Automatisch legte er den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Aber der immer dichter fallende Schnee machte es unmöglich, die Zeit anhand der Sterne zu bestimmen. Vielleicht würde diese Nacht auch nie mehr enden, und sie befanden sich auf dem Marsch ins ewige Nichts, hinein in einen Bereich der Welt, in dem selbst die Zeit gefroren war, und in dem es nichts mehr gab als den Tod.
    Die Ebene war nicht so flach, wie sie geglaubt hatten, aber das monotone Weiß ließ alle Unterschiede verschwimmen. Es gab zahllose kleine eisige Buckel; Spalten und handbreite Risse, die den Boden wie ein Spinnennetz gefährlicher Fallstricke und Gruben bedeckten, und der Schnee überzog alles mit einer trügerischen weißen Decke, so daß sie sich noch vorsichtiger bewegen mußten und noch langsamer vorankamen als ohnehin. Selbst wenn die Berge — von denen er nun wußte, daß es sie gab — wirklich nicht mehr als zwanzig Meilen entfernt waren, würden sie länger als einen Tag und eine Nacht brauchen, um sie zu erreichen. Es waren nicht nur Erschöpfung und Kälte, die an ihren Kräften nagten; es war, als hätten sich alle Gewalten der Natur —oder welche Mächte auch immer über diesen Teil der Welt gebieten mochten — gegen sie verschworen. Vielleicht, überlegte Skar matt, war der Dronte gar nicht die reißende Bestie, für die sie ihn hielten, sondern nur ein Werkzeug dieses Landes, ein Ding, das zufällig dagewesen war und dessen sich der böse Geist dieser verbotenen Insel am Ende der Welt bediente, um sie zu vernichten.
    Er lächelte. Wie immer, wenn er erschöpft war, begann er, Geheimnisse in Dingen zu sehen, die es nicht gab. Er fragte sich, ob es den Männern ebenso erging. Vielleicht war es gut, daß sie zu müde waren, um zu denken.
    Skar sah immer wieder auf und versuchte, die gezackte Schattenlinie weit vor ihnen zu erkennen, aber je mehr er sich anstrengte, desto dichter schien der Schnee vor ihm zu wirbeln, und seine Müdigkeit ließ graue, treibende Schleier vor seinen Augen erscheinen, hinter denen wie ein knöchernes graues Gespenst Erschöpfung und Tod lauerten. Er blinzelte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und atmete tief durch. Die eisige Luft schmerzte in seiner Kehle, aber die Kälte vertrieb auch die grauen Spinnweben, die

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