Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
und wir dachten, hier unten wären wir sicher, aber dann... dann hörten wir Schritte und...«
Skar hob die Hand, um ihren Redefluß zu unterbrechen.
»Nicht so rasch«, sagte er. »Wer sind sie, und warum verfolgen sie euch? Was habt ihr getan?« Er seufzte, ließ sich wieder zu Boden sinken und zog die Knie an den Leib. Sein Kiefer schmerzte so heftig, daß er nicht mehr klar denken konnte. Großer Gott, wie hatte er sich so übertölpeln lassen können- von einem
Kind?
»Quorrl«, antwortete Syrr nach langem Zögern. »Die... die Quorrl, Herr!«
»Quorrl?« Skar sah auf, blickte das Mädchen ungläubig an und vergaß für einen Moment sogar den pochenden Schmerz in seinem Kiefer. »Sagtest du: Quorrl?« wiederholte er.
»Sie haben uns verfolgt, Herr«, bestätigte Syrr. »Seit drei Tagen fliehen Talin und ich vor ihnen, aber sie... sie haben Hunde dabei, und...«
»Warum erzählst du ihm das?« mischte sich Talin ein. »Er gehört zu ihnen, das weiß ich. Er wird uns verraten!«
»Sehe ich vielleicht aus wie ein Quorrl?« fragte Skar zornig. »Es... es sind auch Menschen bei ihnen«, sagte Syrr. Ihre Stimme schwankte immer stärker. Und ganz plötzlich ließ sie den Stein fallen und begann zu weinen. »Es... es war so entsetzlich«, schluchzte sie. »Ich habe Angst, Herr. Bitte helft uns!« Und dann tat sie etwas, womit Skar hätte rechnen müssen, was ihn aber vollkommen überraschte — sie trat auf ihn zu, fiel plötzlich neben ihm auf die Knie, warf sich an seine Brust und begann hemmungslos zu schluchzen.
Skar blickte hilflos auf sie herab. Er hob die Hand, wie um sie an der Schulter zu berühren oder ihr Haar zu streicheln, führte die Bewegung aber nicht zu Ende, sondern ließ den Arm wieder sinken. Syrrs Körper wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Ihre Fingernägel krallten sich schmerzhaft in seine Haut, und plötzlich spürte er ihre Tränen heiß an seiner Brust herablaufen. »Helft uns, Herr«, stammelte sie. »Ich flehe Euch an — macht mit mir, was Ihr wollt, aber helft meinem Bruder und mir. Ihr... Ihr könnt mich haben, aber bringt... bringt uns hier heraus. Laßt nicht zu, daß sie uns zurückbringen!«
Skar fühlte sich... hilflos. Kindern und weinenden Frauen gegenüber hatte er sich immer hilflos gefühlt, aber nun kam noch seine Verwirrung hinzu, und das Gefühl, daß alles von vorne begann. Sollte denn das Kämpfen und Fliehen niemals ein Ende haben? Außerdem verunsicherten ihn Syrrs Worte, denn wenn sie das bedeuteten, was er glaubte, gefielen sie ihm nicht. Gott, sie war ein halbes Kind!
Behutsam löste er ihren Griff, legte nun doch die Hände auf ihre Schultern und schob sie auf Armeslänge von sich. Syrr weinte noch immer, wenn sie sich auch jetzt alle Mühe gab, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Ihr Haar hing aufgelöst in die Stirn und bis über ihre Schultern, und jetzt, als sie sich ganz nahe waren, korrigierte Skar seine Schätzung um ein gehöriges Stück nach unten, was ihr Alter anging. Sie war allerhöchstens zwanzig.
»Beruhige dich, Kind«, sagte er, so sanft er konnte. »Ihr seid sicher.« Er lächelte aufmunternd, schob sie mit sanfter Gewalt auf eine der steinernen Sitzbänke und ließ sich vor ihr in die Hocke sinken, bis ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren. Syrr sah ihn an, und sofort begannen die Tränen wieder heftiger über ihre Wangen zu laufen. Sie
war
ein Kind.
»Und jetzt erzähle«, sagte er. »Ich werde deinem Bruder und dir helfen, aber zuerst muß ich wissen, was überhaupt los ist —siehst du das ein?« Er lächelte erneut, verlagerte sein Gewicht ein wenig und hob die Hand, um sie sanft an der Wange zu berühren. Syrr nickte schluchzend, aber Talin trat mit einem zornigen Schritt zwischen sie und Skar, schlug seine Hand beiseite und funkelte ihn haßerfüllt an. »Rühr sie nicht an!« fauchte er.
»Wenn du sie anfaßt, bringe ich dich um, Alter!«
Alter?
dachte Skar. Dann fiel ihm ein, daß er wirklich alt war gegen diesen Jungen — an die vierzig Jahre älter als er. Mit Mühe unterdrückte er ein spöttisches Lächeln, bewegte sich ein Stück zurück, ohne sich aus der Hocke zu erheben, und ließ sich schließlich mit untergeschlagenen Beinen zu Boden sinken.
»Wie du willst, du kleiner Held«, sagte er spöttisch. »Aber wenn ich euch helfen soll, müßt ihr mir wenigstens verraten, wie
- und warum.«
Syrr wollte etwas sagen, aber wieder war ihr Bruder schneller. »Nein!« beharrte er. »Erst erzählst du! Wer
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