Enwor 9 - Das vergessene Heer
es wird dir nicht noch einmal gelingen.
»Wir werden sehen.«
Du wirst dafür bezahlen. Niemand betrügt den Tod zweimal.
Der Schatten verschwand, so lautlos und schnell, wie er gekommen war.
» K annst du aufstehen?«
Skar mußte die Frage zweimal stellen, ehe Titch überhaupt darauf reagierte. Der Quorrl versuchte es, aber sein rechtes Bein knickte unter dem Gewicht seines Körpers weg. Er fiel so schwer auf das Knie zurück, daß er vor Schmerz aufstöhnte.
Skar unterdrückte den Impuls, die Hände auszustrecken, um ihm zu helfen. Der Quorrl war viel zu schwer, als daß er ihn hochheben könnte; und er befand sich in einem Zustand, in dem er vollkommen unberechenbar und wahrscheinlich gefährlich war, auch für ihn. Reglos sah er zu, wie Titch erneut versuchte, auf die Beine zu kommen und sich schließlich an den Überresten des zerbrochenen Tisches in die Höhe zog. Er wankte, aber er stand aus eigener Kraft. Sein Blick irrte wild durch den Raum, huschte hierhin und dorthin, huschte über Skars Gesicht und blieb schließlich an Ennarts Leichnam hängen.
»Du hast ihn… getötet«, murmelte er.
Skar war nicht einmal sicher, daß es so gewesen war. Der Ssirhaa lag mit dem Gesicht nach unten da, aber er hatte den Ausdruck tödlichen Entsetzens nicht vergessen, der sich in die Züge des Quorrl-Gottes eingegraben hatte, als er starb. Vielleicht war es nicht einmal seine Klinge gewesen, die ihn getötet hatte, sondern der bloße Anblick des
Daij-Djan.
Einen Moment lang überlegte er ernsthaft, Titch zu erzählen, was
wirklich
passiert war, verscheuchte diesen Gedanken dann aber wieder. Irgendwann einmal würde er es tun. Vielleicht. »Wirst du gehen können?« fragte er.
»Gehen?« Titchs Blick flackerte. Etwas wie Wahnsinn starrte Skar an, als er in seine Augen sah. »Aber wohin denn?« Seine Hände öffneten und schlossen sich in unablässigen, kraftvollen Bewegungen. Er zitterte am ganzen Leib. Der Quorrl stand kurz vor dem Zusammenbruch, nicht nur körperlich.
Skar deutete auf den toten Ssirhaa, dann zum Fenster. »Zuerst einmal raus hier, egal wohin. Ehe sie merken, was passiert ist.« Titch hörte seine Worte gar nicht. Seine Hände bewegten sich noch immer, und das Zittern seiner Glieder war stärker geworden. »Er… war kein Gott«, flüsterte er. Er starrte Skar an. Sein Blick war wie ein stummer Schrei. »Sie… sie haben uns belogen, Skar. Sie haben uns all die Zeit über belogen. Sie… sie wollen uns vernichten, so wie euch.«
Skar sah fast ängstlich zur Tür. Titch war nur wenige Augenblicke bewußtlos gewesen, aber jede Sekunde war unendlich kostbar. Bisher schien niemand gemerkt zu haben, was geschehen war, aber irgendwann würde Ian oder einer seiner Brüder zurückkehren. Wenn sie überhaupt eine Chance hatten, diesen Turm lebendig zu verlassen, dann nur, solange niemand von Ennarts Tod und ihrer Flucht wußte.
»Sie sind nicht unsere Götter«, stammelte Titch.
»Ich fürchte, wir werden niemals Gelegenheit haben, das herauszufinden, wenn wir noch lange hier herumstehen«, antwortete Skar nervös. Er sah den Quorrl abschätzend an, kam zu dem Ergebnis, daß Titch im Moment wohl eher eine Gefahr als eine Hilfe darstellte, und wandte sich mit einer entschlossenen Bewegung zur Tür.
»Du wartest hier auf mich«, sagte er. »Ich hole Kiina.«
»Warte, Satai.« Titch streckte die Hand nach ihm aus. Trotz seiner ungeheuren Größe und Kraft wirkte die Bewegung hilflos, flehend. Skar blieb stehen. In Titchs Blick rangen noch immer Wahnsinn und Schmerz miteinander, aber er war trotzdem klarer als noch vor Augenblicken. »Du… du hast keine Chance, allein«, sagte er. »Sie werden dich töten.« Er ließ den Arm sinken, richtete sich vollends auf und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht. An seinen Fingern klebte Blut, als er die Hand wieder senkte, und er humpelte sichtbar. Aber Titch war schon in erbärmlicher Verfassung gewesen, als sie ihn hergebracht hatten. Vielleicht würde sein Zustand zumindest einem flüchtigen Beobachter nicht sofort auffallen.
»Weißt du, wo das Mädchen ist?«
Skar nickte, und Titch machte eine auffordernde Handbewegung zur Tür. Dicht hintereinander traten sie auf den still daliegenden Gang hinaus, wobei Titch eine seiner riesigen Pranken schwer auf Skars Schultern legte und ihn mehr vor sich herschob, als er ihn führte. Wer immer ihnen zufällig begegnen mochte, mußte ihn für einen Gefangenen Titchs halten. Skar bewunderte insgeheim die
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