Enwor 9 - Das vergessene Heer
Angst?«
»Nein.«
»Ich schon«, sagte er. »Aber wir werden ihnen entkommen, keine Sorge.« Er dachte an die riesigen Echsen, auf denen Ian und seine Brüder geritten waren, als sie ihnen das erste Mal begegneten, aber der Gedanke beunruhigte ihn nur einen Augenblick. Hier in den Bergen waren sie vor diesen Titanen sicher. »Titch hat mir alles erzählt«, sagte Kiina plötzlich. Skar sah sie an und bemerkte, daß sie nicht mehr ins Tal hinabstarrte, sondern den Blick in den Himmel gehoben hatte.
»Ob sie noch da sind?«
»Sie?«
»Die
Sternengeborenen«,
sagte Kiina. »Unsere Vorfahren. Sie sind von dort gekommen, nicht? Von dort oben.«
»Ja«, antwortete Skar.
»Aber es sind nur Lichtpunkte.« Sie hob den Arm, spreizte die Finger und bewegte die Hand, als versuche sie nach den Myriaden von Sternen zu greifen, die über ihnen am Himmel funkelten. »Sie müssen unendlich weit entfernt sein, wenn wirklich jede eine Welt ist, so groß wie Enwor. Ich frage mich manchmal, ob sie noch da sind.«
»Kaum«, murmelte Skar. »Es ist…« Er machte eine hilflose Bewegung. »Es ist zu lange her. Selbst für sie.«
»Woher willst du das wissen?« Die Schärfe in Kiinas Stimme überraschte ihn. »Was ist eine Million Jahre für sie? Vielleicht haben sie so lange gebraucht, um hierher zu kommen. Es gibt sie bestimmt noch, irgendwo dort oben.«
»Selbst wenn — sie werden nicht wiederkommen«, antwortete Skar sanft. »Götter kommen selten dann, wenn man sie ruft, weißt du?«
Und vielleicht sollten wir beten, daß sie es auch diesmal nicht tun,
fügte er in Gedanken hinzu.
»Das spielt keine Rolle«, widersprach Kiina. »Ich weiß, daß sie noch da sind.«
Skar widersprach ihr nicht mehr. Warum sollte er ihr nicht das gleiche Recht zubilligen wie Titch? Er hoffte nur, daß sie nicht eines Tages die gleiche Enttäuschung erleben und feststellen würde, daß ihre Götter keine Götter, sondern das Gegenteil waren.
Für gut zehn Minuten schwiegen sie beide, dann fragte Kiina plötzlich: »Habt ihr euch entschieden?«
»Was meinst du?«
»Das weißt du ganz genau«, antwortete Kiina, in einem Ton, der ihn verwirrt aufblicken ließ. Sie starrte weiter ins Leere, aber auf ihrem Gesicht kämpften jetzt Wut und Hilflosigkeit miteinander. »Der Quorrl und du! Was habt ihr jetzt vor? Mich auf eine Daktyle zu binden und zu Del zu schicken, jetzt, wo alles vorbei ist? Oder willst du mich immer noch bei irgendeiner freundlichen Familie in Pflege geben wie eine Katze?«
Skar war so überrascht, daß er im ersten Moment nicht einmal antworten konnte. Plötzlich begriff er Kiinas sonderbare Gereiztheit. Er
hatte
vorgehabt, sie zurückzulassen, in Elay, und später, als sie die Stadt zerstört vorfanden, irgendwo, vielleicht bei den
Errish.
Von alledem, was passiert war, hatte Kiina ja kaum etwas gemerkt. Die vergangene Woche existierte für sie praktisch nicht, denn sie hatte sie schlafend verbracht.
»Keineswegs«, antwortete er.
»So?« Kiinas Augen funkelten zornig. »Was plant Ihr dann mit mir, großer Satai?« fragte sie spitz.
»Zuerst einmal, dir Respekt beizubringen«, antwortete Skar spöttisch. »Und danach wirst du mich begleiten.« Er deutete nach Norden.
Kiina schwieg erstaunt. Sie glaubte ihm nicht völlig, das sah er ihr an. Aber er hatte sie auch noch nie belogen.
»Du meinst, ich… ich komme mit?«
»Ins Land der Quorrl«, bestätigte Skar. »Und mit sehr viel Glück auch wieder zurück. Falls wir es überleben, heißt das.«
Er seufzte tief und bemühte sich, ein möglichst resigniertes Gesicht zu machen.
»Nicht, daß mir die Vorstellung gefällt«, fuhr er fort, als Kiina nicht antwortete, sondern ihn nur weiter fassungslos anstarrte. »Aber wir brauchen dich.«
»Wozu?« fragte Kiina mißtrauisch.
»Es ist ein weiter Weg bis ins Land der Quorrl«, antwortete Skar. Er brachte es nicht fertig, Kiina die Wahrheit zu sagen, und diese Lüge war so gut wie jede andere. »Es sind mehr als zweitausend Meilen, allein bis zu seinen Grenzen. Und die Götter und ein paar Quorrl allein wissen, wo dieser Sturz von Ninga ist, und
was
er ist.«
Kiina sah ihn verständnislos an, und Skar fiel erst jetzt wieder ein, daß sie nicht mehr dabeigewesen war, als Titch diesen Namen erwähnte. »Der Ort, an dem das heilige Wasser der Quorrl ist«, fügte er erklärend hinzu. Er kam der Wahrheit damit viel näher, als ihm recht war, aber Kiina erriet nicht, worauf er wirklich hinauswollte.
»Wir werden fliegen
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