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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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das Ende, dachte er. Es ergab keinen Sinn. Aber vielleicht sollte es keinen Sinn ergeben. Dieser Gedanke war der schrecklichste von allen – und vielleicht auch sein letzter, denn er wusste, dass seine Widerstandskraft zu Ende ging.
    Und dieses Ende war erstaunlich schmerzlos, war wie ein entferntes Grollen, begleitet von einer tiefen Schwärze, die ihn allmählich von allen Seiten umfing.
    Das Einzige, was Charlie schließlich noch verspürte, war Dankbarkeit darüber, dass es vorbei war.
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    »Mama, wo ist Opa denn hingefahren?«
    »Er musste geschäftlich verreisen, Liebling. Es tut ihm ebenso leid wie dir.«
    »Wann kommt er zurück?«
    »Ich weiß nicht, Christopher. Ich glaube, was er zu erledigen hat, wird eine Weile dauern.«
    »Wann kommst du wieder?«
    »Am Samstag.«
    »Kannst du diesmal länger bleiben?«
    »Ich kann den ganzen Tag bleiben, wie immer.«
    »Warum darf ich jetzt nicht nach Hause? Ich will hier nicht länger alleine bleiben.«
    »Schatz, es wird nicht mehr lange dauern, das verspreche ich dir.«
    »Ich will nach Hause.«
    »Ich fürchte, das geht nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nicht da bin. Ich muss erst meine Arbeit beenden. Dann können wir nach Hause zurück.«
    »Wie bald?«
    »Bald.«
    »Wenn Opa in Washington ist, warum kann ich dann nicht zu ihm?«
    »Er ist dort zuviel unterwegs. Ich muss gehen, mein Schatz. Ich liebe dich. Morgen ruf ich dich wieder an, und am Samstag sehen wir uns… Christopher?… Schatz?… Bist du noch da?«
    »Ja.«
    »Ich rufe dich morgen an, okay?«
    »Okay.«
    »Ich liebe dich, mein Schatz.«
    »Ich dich auch, Mama.«
    Eine Pause, dann: »Mama…?«
    »Ja, Liebling?«
    »Darf ich mit dem Hubschrauber fliegen?«
    Die Frage kam überraschend. »Mit dem Hubschrauber?«
    »Joe, das ist Michaels Freund, der sagt, dass er mich mitnimmt, wenn du’s erlaubst. Opa ist letzte Woche damit zum Flughafen geflogen, aber mich wollten sie nicht mitlassen. Tante May sagt, ich muss dich erst fragen. Darf ich, Mama? Bitte! Es ist wirklich ein toller Hubschrauber.«
    Susan gefiel die Idee ganz und gar nicht. Seit Johns Ermordung verband sie den Gedanken an Fliegen unweigerlich mit dem Tod, aber sie wusste nicht, wie sie Christopher die Bitte abschlagen konnte. Er würde sich dann nur noch unglücklicher fühlen.
    »Natürlich darfst du, Schatz. Aber sei vorsichtig.« Die Warnung ging in Jubel und überschäumenden Dankesworten unter. Susan musste trotz ihres Unbehagens lächeln. Doch als sie den Hörer auflegte, vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und kämpfte gegen die Tränen des Zorns und der Machtlosigkeit – Gefühlen, denen nachzugeben sie sich entschlossen weigerte.

    West stimmte zu, sie sofort zu empfangen, als sie ihn anrief. Sein Vorzimmer befand sich im Erdgeschoss. Zwei seiner Assistenten taten dort rund um die Uhr Dienst und standen per Bildtelefon mit ihm in Kontakt. West selbst kontrollierte den Fahrstuhl von seinem Schreibtisch aus. An der Tür und in der Kabine waren Kameras angebracht sowie ein Gerät, von dem Susan annahm, dass es sich um einen Metalldetektor handelte.
    Die Fahrt nach oben dauerte nicht lange, ließ ihr aber Zeit genug, sich zu sammeln. Susan verdrängte alle Gedanken aus ihrem Kopf, ja, sie wiederholte sogar im Stillen ein Mantra, das sie vor Jahren gelernt hatte, auch wenn sie das Meditieren aufgrund verschiedener Umstände (Ehe, Geburt ihres Sohnes, Karriere) bald wieder aufgegeben hatte. Nun jedoch wollte sie Wests Büro in einem ausgeglichenen Geistes- und Gemütszustand betreten – oder zumindest so ausgeglichen wie möglich. Ihm mit offener Feindseligkeit zu begegnen würde sie nicht ans Ziel bringen.
    Als Susan den Fahrstuhl verließ und den weichen Teppichboden des Büros betrat, saß West wie gewöhnlich hinter seinem Schreibtisch und blickte ihr erwartungsvoll entgegen.
    »Dr. West«, begann sie grußlos und ohne Umschweife, »ich werde mich nicht länger gegen Sie zur Wehr setzen. Von nun an werde ich alles tun, was Sie von mir verlangen.«
41
    »Niemand kann ein überzeugendes Drehbuch für eine Sterbeszene schreiben, Charlie.«
    Es war die Stimme eines Mannes, den er nicht kannte.
    »Kommen Sie schon, Charlie, wachen Sie auf! Es ist vorbei. Öffnen Sie die Augen!«
    Seine Augenlider öffneten sich flatternd. Er stellte fest, dass er in der Waagerechten lag und sich ein Mann über ihn beugte. Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor, aber nur vage. Es hätte der Bruder, ja, beinahe der Zwillingsbruder des Mannes

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