Epsilon
jede Chance zur Flucht vergab.
Ein erneuter Blick in die Runde bestätigte seine Befürchtungen. Hilfe war noch immer nicht in Sicht, und so blieb Charlie keine andere Wahl mehr. Er kletterte am Ast entlang zurück, suchte auf den versenkten Steinen festen Halt und streckte, während er sich mit einer Hand am Ast festhielt, den anderen Arm dem ertrinkenden Schimpansen entgegen.
Der Affe verstand und begann verzweifelt, sich an den Steinen hochzuhangeln, bemüht, Charlies Hand zu erreichen. Doch er schaffte es nicht ganz.
Charlie lehnte sich weiter vor – gefährlich weit. Diesmal berührten sich ihre Finger, und dann, mit einer letzten Anstrengung, bekam Charlie den Schimpansen an der Hand zu packen. Charlie zog mit aller Kraft. Der andere war genauso schwer wie er selbst, und die Muskeln in Charlies Armen waren zum Zerreißen gespannt, als er ihn aus dem Wasser zog – ein Akt enormer physischer und psychischer Anstrengung. Eine Sekunde lang glaubte Charlie, dass er es nicht schaffen würde, doch dann stieß der Kopf des anderen plötzlich durch die Wasseroberfläche, und der Schimpanse öffnete den Mund und nahm einen mächtigen, Leben spendenden Atemzug. Charlie hievte ihn mit letzter Kraft auf die Steine und damit in Sicherheit. Gleichzeitig hörte er ein Geräusch, das seinen Herzschlag einen Moment lang aussetzen ließ: Er hörte das verräterische Splittern von Holz, als der Ast, an den er sich klammerte, langsam nachgab. Charlie erkannte sofort, dass es ihm nicht gelingen würde, das Gleichgewicht zu halten. Als der Ast abbrach, stürzte Charlie kopfüber in den Graben. Unter Wasser vollführte er unfreiwillig einen langen, eleganten Salto und landete am Ende mit ausgestreckten Armen und Beinen in Rückenlage auf dem Boden des Grabens. Über sich sah er den Schimpansen, dessen Leben er gerade gerettet hatte und der nun, in einer ironischen Umkehrung des Schicksals, zu ihm hinabstarrte. Der Affe war offensichtlich angesichts seiner Hilflosigkeit völlig verzweifelt und hüpfte von einem Fuß auf den anderen, während er um Hilfe kreischte, die seltsamerweise noch immer ausblieb.
Charlie erkannte, dass er auf sich alleine gestellt war. Als Erstes brauchte er einen klaren Kopf. Vor sich im Wasser sah er verschwommen die Steine, die er versenkt hatte. Wenn er bis zu ihnen gelangen konnte, würde er sich an ihnen hochhangeln können, wie sein Leidensgenosse es mit seiner Hilfe getan hatte; und solange der sich nicht aus dem Staub machte, müsste es ihm, Charlie, ohne allzu große Mühe gelingen, diese sichere Insel zu erreichen. Sie würden ein schönes Paar abgeben: zwei klatschnasse Schimpansen inmitten eines Wassergrabens und ohne jede Möglichkeit, eines der Ufer zu erreichen.
Doch Charlie verschwendete keinen weiteren Gedanken an den komischen Aspekt der Situation. Er brauchte alle Kraft und Konzentration, um sich in eine aufrechte Lage zu manövrieren oder doch wenigstens auf alle viere zu gelangen. Aus irgendeinem seltsamen Grunde war er jedoch nicht in der Lage, sich zu bewegen. Vielleicht hatte er sich beim Sturz verletzt, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie. Er verspürte auch keinen Schmerz. Dennoch gehorchte ihm sein Körper nicht; es schien, als wäre die Verbindung zwischen seinem Gehirn und seinen Gliedmaßen unterbrochen. Hatte er sich möglicherweise das Genick gebrochen?
Ein Gefühl der Panik packte ihn, wie er es nie zuvor gekannt hatte. Er konnte seinen Körper spüren, aber er konnte ihn nicht bewegen. Er fühlte den Druck seiner berstenden Lungen und war sich sicher, dass ihm die Augen aus dem Kopf traten wie seinem Leidensgenossen wenige Minuten zuvor. Charlie wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Wenn jetzt keine Hilfe eintraf, war er erledigt. Doch alles, was er sehen konnte, war die verschwommene Gestalt des anderen Schimpansen, der inzwischen kreischend auf den Steinen auf und ab hüpfte, außer sich vor Schreck und Hilflosigkeit.
Charlies Sicht begann sich zu verändern. Schwarze Punkte erschienen vor seinen Augen – wie Brandflecken auf einer Filmspule, die in einem Projektor stecken geblieben war. Er vermutete, dass das die Auswirkungen des Sauerstoffmangels waren. Im gleichen Augenblick wurde der Schmerz in seiner Brust unerträglich, und er wusste, dass er den Atem nicht länger würde anhalten, dass er dem Druck nicht länger würde standhalten können. Er würde mit dem Wasser den Tod hinunterschlucken, so sicher, als hätte er Gift genommen.
Das also war
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