Equinox
mal beiseite genommen. Vor allem ich war wohl ein bisschen hitzig in meiner Kritik an der Diagnose des Bordarztes, und Zouteboom war an die Decke gegangen.
»Jegliche Autorität an Bord dieses Schiffes liegt in meinen Händen!«, hatte er geschrien, und seine Hängebäckchen hatten gezittert, als er mit dem Fuß aufstampfte. »Und sämtliche medizinischen Aufgaben und Analysen obliegen Doktor Köthensieker und seinem Team. Ist das klar?«
Und Jochen und ich hatten genickt wie Schuljungen vorm Direx. Auf See herrschen andere Gesetze als an Land, und keiner von uns beiden hatte sich wirklich die Mühe gemacht, die Unterschiede vor Antritt der Fahrt zu eruieren.
»Wir kriegen einen Vertrag über sechs Monate«, hatte Jochen geschwärmt, »wir werden zum Nordkap und von da nach Kapstadt und wieder zurück pendeln, und die ganze Zeit wird die Heuer unangetastet auf unsere Konten fließen, denn an Bord ist praktisch alles frei. Alles!«
»Achthundert Fahrgäste und fünfhundert Mann Besatzung, und beinahe sechzig Prozent davon weiblich«, hatte er noch selig lächelnd hinzugefügt, doch da war meine Unterschrift schon quer unter den Vertrag gekrakelt gewesen. »Wir werden vor lauter Bumsen kaum zum Schlafen kommen.«
Und kaum waren wir unterwegs, da hatte jemand den Ersten Steward geköpft, und der Kapitän wollte das auf keinen Fall wahrhaben.
»Und wenn ich mich den Empfehlungen des Bordarztes anschließe, so steht es Ihnen beiden nicht an, diese meine Entscheidungen zu kritisieren. Habe ich mich unmissverständlich ausgedrückt?« Zouteboom schrie immer noch, sein Schweinskopf puterrot. Vielleicht bin ich naiv, doch ich hatte mir Schiffsführer von seinem Kaliber immer als in sich ruhende Persönlichkeiten vorgestellt, vergleichbar mit, sagen wir mal, Bernhardinern, und nicht als hysterische Kläffer, die schon den geringsten Widerspruch als Angriff auf ihre Machtausübung verstehen. Wieder nickten wir ergeben und Zouteboom beruhigte sich ein bisschen. »Um es trotzdem noch einmal zu vertiefen: Sie zur Begutachtung eines Selbstmordes hinzuzuziehen war nichts als ein bedauerlicher Irrtum, der sich nicht wiederholen wird.«
Moment mal, dachte ich - rechnet er etwa mit noch mehr »Selbstmorden«?
»Also tun Sie von jetzt an das, wofür Sie bezahlt werden: Halten Sie Augen und Ohren offen, seien Sie stets bereit für die Belange unserer Passagiere und überlassen Sie die Leitung des Schiffes mir und den für ihren jeweiligen Aufgabenbereich zuständigen Mannschaftsgraden.
Sollten Sie mir noch einmal unangenehm auffallen, werde ich Ihren direkten Vorgesetzten anweisen, Sie entsprechend zu disziplinieren. Guten Tag.«
Na, da war es doch gar nicht schwer gefallen einzuschwenken, und überhaupt, Prost allersei -
Nein, dachte ich und setzte die immer noch leere Flasche ein zweites Mal ab. Nein. An Bord lief ein Schwertmörder unbehelligt herum, und ich würde nicht so tun, als wäre nichts. Jochen - war er wirklich dabei, sich diese Amerikanerin mit der Figur einer zu nahe am Kamin aufgestellten Altarkerze schönzutrinken? Ich nahm die Hand der Berlinerin von meinem Schenkel - wenn es nicht die Hand des Berliners gewesen war, die Tischdecken hier hingen lang herunter -, stand auf und griff meinen Kollegen, der in Heathers schwimmenden Augen zu ertrinken drohte, fest bei der Schulter. Mit einem Ruck sah er zu mir auf.
»Lass uns mal für ‘ne Sekunde an die frische Luft gehen«, raunte ich ihm zu und ging voran.
Die Sonne hing wie angeklebt über der in sommerlicher Sanftmut wogenden Nordsee. Schon in ein paar Stunden sollten die beiden Teile des Stewardleichnams darin versenkt werden, um die Fische zu füttern, die möglicherweise eines Tages auf den Tellern der Fahrgäste seines ehemaligen Schiffes liegen würden. Ein wunderbarer oder ein entsetzlicher Kreislauf, alles eine Frage der Betrachtung.
Ich dachte daran, Jochen darauf hinzuweisen, doch der beäugte die Weite der blauen See mit diesem schwankenden Misstrauen, das er schon im Hafen an den Tag gelegt hatte. Nicht richtig seefest, war meine Vermutung.
»Ga-hanz schön wellich heute«, rief er und packte die Reling mit festem Griff. »Schau-haukelt wie ein Wasserbett beim Bumsen.« Er seufzte. »Hab ich dir schon erzählt, wie Ingrid und ich da-hamals in Pa-haris in diesem sündteuren Hotel übernachtet haben und da hatten sie dieses riesige -«
»Jochen«, unterbrach ich ihn hastig, aus den letzten Tagen noch wohl versorgt mit Geschichten um und mit
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