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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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schreiben, dann meinen sie das auch -, presste mir eben dieser Umstand also das allerwinzigste »Gniii-hiii-hiii« zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und Gorilla-San sah auf und ich konnte nicht anders, also ließ ich los und fiel direkt auf ihn herunter.
     
    Wenn das so weitergeht, dachte ich zitternd, stemmte mich hoch, weg von dem gerade noch so harten, so muskelbepackten, so willensgeladenen und jetzt plötzlich so schlaffen Körper, weg von den Augen, die nur noch eine Richtung kannten, lehnte mich an die Wand und wischte mir die Hände wieder und wieder an dem dreckigen Overall ab.
    Ausgerutscht war er, als ich mich auf ihn stur…, okay, als ich wie Fallobst auf ihn herabgesegelt kam, machen wir uns nichts vor - ausgerutscht also auf dem ganzen Schaum, und dann hatte es ihn rückwärts umgerissen, und er wäre glatt und lang hingeschlagen, wenn er nicht noch im Fallen, gewaltsam beschleunigt durch den Anprall meines Gewichts, mit dem Genick auf dem nutzlos in der Gegend herumstehenden Feuerlöscher aufgeschlagen wäre.
    Wenn das so weitergeht, dachte ich zitternd, packte die bleischwere Leiche an den Füßen und zerrte sie durch die Tür, wenn das so weitergeht, dachte ich, suchte und fand einen Wischmopp und schob und zog den mit Blut durchtränkten Löschschaum vom Gang weg und in die Kabine, wenn das so weitergeht, dachte ich, holte auch noch das Brecheisen und den Feuerlöscher rein und drückte die Tür in ihr zersplittertes Schloss, wenn das so weitergeht, dachte ich und ließ mich aufs Bett nieder, wenn das, wenn das so, wenn das so weiter… Und schwer atmend umklammerte ich meine schlotternden Knie mit den Armen und zwang mich Schritt für Schritt zur Ruhe.
    Wenn das so weitergeht, dachte ich schließlich, dann wird’s bald eng in den zwölf Kühlkammern.
    Die Brechstange hatte eine Kerbe in Wassilijs Monitor gehauen wie Tante Mias Handkante in ihr Paradekissen, die zerborstenen Innereien bestäubten den ganzen Schreibtisch, doch als ich den bei meinem Salto vom Stuhl zugeklappten Laptop hochnahm, war der weiterhin mit dem Programm verbunden, zu dessen Schutz seinen Betreibern nichts zu riskant, nichts zu blutig war. Mit dem Ding loszuziehen und es von anderer Stelle erneut zu versuchen würde unweigerlich einen weiteren Alarm auslösen. Hier zu bleiben und weiterzumachen kostete mich mehr Überwindung als ein Kopfsprung vom Zehner in ein leer gepumptes Becken, doch ich sah keine Alternative. Noch mal den zähen Aufbau des Programms würde ich nicht durchhalten. Es hieß: jetzt oder nie. Ich gab mir fünf Minuten.
    Die Kunden waren nicht alphabetisch, sondern nach Zahlen aufgelistet. Ginza-Titanium-Kreditkarten wiesen die üblichen sechzehn Stellen in vier mal vier Blöcken auf. Die ersten zwölf Zahlen waren bei allen Kunden identisch. Vollkommen. Erst die letzten vier variierten, fingen bei 0001 an und setzten sich ununterbrochen fort bis 0565. Klickte man die an, erschien eine Seite mit den Kontenbewegungen. Ich versuchte es bei einem halben, dann einem ganzen Dutzend. Keiner dieser Kunden hatte jemals irgendwo anders Einkäufe getätigt als in einem der Geschäfte hier an Bord. Die letzte heftige Bewegung des Kontos kam in allen Fällen von der Kasse des Duty-free. Mit anderen Worten: Der allem Anschein nach gesamte Kundenbestand der Ginza-Titanium-Kreditkartengesellschaft reiste zur Zeit mit der Equinox. Unterwegs in die Weite und die Leere des Nordens und seine Stille. Seine Funkstille. Aus jeder Stunde, die wir weiter Richtung Norden vorstießen, wurden zwei, die es dauern würde, wieder in Kontakt zu treten mit der Außenwelt. In der der Fluss des Lebens indes weiter seinen Lauf nahm. Der Fluss des Lebens und der der Finanzen.
    Hastig klickte ich Kunden für Kunden an. Die wenigsten hatten dem fünfzigprozentigen Rabattangebot widerstehen können. Gekostet hatte es sie - grob übern Daumen - im Durchschnitt dreihunderttausend Dollar. Malgenommen mit gut und gerne fünfhundert ergab das …
    Der schiere Gedanke an die Größe dieser Zahl ließ mir mein Leben verwirkt erscheinen.
     
    ACHT
     
    Amok. Ich ging vor wie ein Amokläufer, der sich bewusst ist, was ihn am Ende erwartet, der aber trotzdem mechanisch weitermacht, und sei es nur, um sein Schicksal noch endgültiger zu besiegeln. Wenn es das gibt, eine Steigerungsform von »endgültig«.
    Ich kann’s nicht erklären, aber wenn ein Riese von einem Kerl gerade eben noch versucht hat, dir den Schädel zu spalten, dich

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