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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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wortwörtlich totzuschlagen, dann legt sich das Grausen nicht einfach, nur weil er plötzlich hin ist. Es kostete mich Mühe, nicht zu schlottern, während ich seine Taschen durchging. Ganz so, als könnten diese Schwergewichtler-Arme unvermittelt zu neuem Leben erwachen, diese Pranken in weißen Handschuhen jählings nach meiner Gurgel grapschen. Und das, obwohl der Knauf des Feuerlöschers ein faustgroßes Loch in Gorilla-Sans Hinterkopf gestanzt hatte.
    Wenn ich jemals tiefe Dankbarkeit einem schlichten Gegenstand gegenüber empfand, dann diesem Feuerlöscher. Ohne seine Hilfe hätte ich meinen Sturz von der Gangdecke keine fünfzig Sekunden überlebt. Der japanische Gangster war nicht nur ungefähr doppelt so schwer und doppelt so kräftig wie ich, er trug auch die volle Ausstattung mit sich herum. Ich ließ den großkalibrigen Revolver in seinem Schulterholster. Den Schlagring in der Jackentasche. Den SS-Dolch in der Schnalle unter der linken Manschette. Die zierliche Pistole in ihrem Fußknöchel-Halter. Nachdem ich den Leichnam unter Stöhnen und Fluchen auf die Seite gedreht hatte, fand ich noch, handlich in der rechten Arschtasche, eine mit Bleioder Wälzlager-Kugeln gefüllte schweinslederne Socke, den Klassiker unter den Totschlägern. Und, ganz zum Schluss, zwischen seinen Schulterblättern, einen langen, schlanken Eispickel in einem speziell dafür genähten, an einer Kordel um den Hals getragenen Futteral. Ich riss den blutgetränkten Kragen ein Stück weit herunter. Wie so viele Yakuza war auch Gorilla-San großflächig tätowiert, doch das Genick und das V zwischen den Schulterblättern waren freigelassen worden. Nur genau in der Mitte fand sich ein winziges, vielleicht briefmarkengroßes eingestochenes Symbol. Ein schwarzes Dreieck, vor dem sich eine rote Kobra aufrichtete. Im Nacken der Kobra steckte ein Dolch, ziemlich genau an der Stelle, an der Gorilla-San das Tattoo trug. Und den Eispickel.
     
    Er grunzte nur. Ich stand einen Moment lang schweigend hinter ihm, Totschläger in hoch erhobener Hand für einen weiteren Hieb, doch dann sackte der Schlichte Gundolf ohne jeden Kommentar nach vorn, und ich schubste ihn aus seinem Sessel und nahm selber darin Platz. Reingepirscht und angeschlichen und zugeschlagen. Ich war nicht besonders stolz drauf, aber doch froh, es hingekriegt zu haben, vor allem unerkannt.
    Die Mall begann sich zu füllen, die Gäste in Abendgarderobe, das Personal in feierlichem Weiß, nur der Pianist auf der Bühne trug Schwarz mit Frackschößen. Von der Security war kein Aas zu sehen. Interessehalber schaltete ich aufs Außendeck der gleichen Etage, bekam große Augen und zappte mich durch die komplette Kamerafolge.
    An jedem einzelnen Zugang zur Mall stand einer von Antonovs Truppe. Ein schwarzes Barett auf der Frisur, eine kugelsichere Weste umgeschnallt und, gehalten von einem Schulterriemen, eine Maschinenpistole in Händen. Die Gäste nickten ihnen freundlich zu, auf ihrem Weg hinein, zum Dinner, zum Ball, zum Showprogramm. Sie schienen überzeugt, dass die martialische Aufmachung ihrem Schutz dienen sollte. Mein Gefühl sagte mir, dass sie damit einem fatalen Irrtum unterlagen.
    Gundolf grunzte, doch er rührte sich nicht, und ich zappte mich zur Nippon-Bar und von da aus die Zahlenfolge runter und wieder hoch durch alle Schaltkreise.
    Ich entdeckte nicht einen Japaner. Was ich allerdings entdeckte, waren Koffer. Oben, vor den japanischen Suiten des A-Decks. Hartschalen-Koffer, die ja niemals ihre Form verändern, egal ob voll oder leer, und trotzdem, wie sie da so standen, ordentlich nebeneinander, machten sie einen voll gepackten Eindruck. Gepackt und fertig zur Abreise.
    Im Rausgehen klemmte ich Gorilla-Sans linken Handschuh ins Türschloss und zerrte so lange daran herum, bis der kleine Finger ab war. Dann eilte ich zurück zu Wassilijs Kabine. Die Spinnwebe hing noch da, wo ich sie platziert hatte, das hieß, bis jetzt war noch niemand durch diese Tür gegangen, der Tote war noch unentdeckt. Mit zwei Schritten war ich drin, legte Gundolfs Funkgerät auf den Boden und wälzte die Leiche drauf.
    Plump? Ich? Mag sein. Doch Finesse, egal auf welchem Gebiet, braucht ihre Zeit. Und wenn Antonov sich nicht freiwillig auf meine Seite schlug, musste ich halt versuchen, ihn zu zwingen. Kaum etwas eint so nachdrücklich wie ein gemeinsamer Feind.
     
    HOOOOOONK dröhnte das Nebelhorn der Equinox. HOOOAAAN antwortete es leise, von irgendwo weit, weit weg, und HUUUT, HUUUT

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