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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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glaubte.
    »Auf geht’s«, krähte der Krämer nun, »kommen Sie, helfen Sie mir mal!« Und dabei deutete er nickend mit seinem Kopf auf etliche transportable Zeitschriftenhalter, von denen er einen bereits nach außen schob.
    Ich quälte mich seufzend hoch, um, noch immer ermüdet, seinem Wunsche zu folgen. Es war schon paradox: Vorgestern hatte ich noch die 12. Armee verschoben, heute waren es Regale. Mein Blick fiel auf das neue Heft von »Wild und Hund«. Manches gab es also immer noch. Und obwohl ich nie ein leidenschaftlicher Jäger gewesen bin, im Gegenteil die Jagd schon immer eher kritisch betrachtet habe, packte mich doch in jenem Augenblick kurz die Sehnsucht, diesem seltsamen Alltag zu entfliehen, mit einem Hund durch die Natur zu streifen, in der Natur Auge in Auge mit der Kreatur das Werden und Vergehen der Welt zu verfolgen … Dann riss ich mich aus meinen Träumereien. In wenigen Minuten richteten wir nun gemeinsam seinen Kiosk zum Verkaufe her. Der Krämer holte zwei Klappstühle heraus und stellte sie vor dem Häuschen in die Sonne. Er bot mir einen Platz an, holte eine Zigarettenschachtel aus der Hemdtasche, klopfte einige Zigaretten aus der Öffnung und hielt sie mir hin.
    »Ich rauche nicht«, schüttelte ich den Kopf, »doch danke.«
    Er nahm eine Zigarette, steckte sie in seinen Mund, holte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündete sie. Er sog den Rauch ein, ließ ihn dann genussvoll ausströmen und sagte:
    »Ahhh – und jetzt ein Kaffee! Für Sie auch? Das heißt, wenn Sie mögen – ich habe hier nur Pulverkaffee.«
    Das war nicht überraschend. Natürlich blockierte der Engländer nach wie vor die Seewege, dieses Problem hatte ich zur Genüge kennenlernen »dürfen«, es war nur verständlich, dass in meiner Abwesenheit die wie auch immer geartete oder benannte neue Reichsführung mit der Lösung überfordert gewesen sein musste – und es noch immer war. Die tapfere, leidensfähige deutsche Bevölkerung musste also wie seit so langer Zeit mit Ersatzmitteln arbeiten. Muckefuck hatte man den Kaffeeersatz wohl genannt, und mir fiel sofort auch wieder der pappsüße Presskornriegel ein, der hier notgedrungen in der Rolle des guten deutschen Brotes dilettieren musste. Und der bedauernswerte Zeitungskrämer schämte sich vor seinem Gast, weil er im Würgegriff der britischen Parasiten der Menschheit nichts Besseres anzubieten hatte. Es war schier empörend. Eine Welle der Rührung stieg in mir hoch.
    »Sie können nichts dafür, guter Mann«, beruhigte ich ihn, »ich bin ohnehin kein Liebhaber des Kaffees. Für ein Glas Wasser wäre ich jedoch dankbar.«
    So verbrachte ich meinen ersten Morgen in dieser seltsamen neuen Zeit an der Seite des rauchenden Zeitungskrämers, begleitet vom festen Vorsatz, so lange die Bevölkerung zu studieren und aus ihrem Verhalten neue Erkenntnisse zu gewinnen, bis möglicherweise der Krämer aufgrund seiner angedeuteten Beziehungen tatsächlich eine kleine Tätigkeit für mich vermitteln konnte.
    Die ersten Stunden am Kiosk gehörten den einfachen Arbeitern und den Rentnern. Sie redeten nicht viel, kauften Rauchwaren, die Morgenzeitung, vor allem eine Zeitung namens »Bild« war sehr beliebt, gerade auch bei Älteren, ich nahm an, weil der Verleger eine unerhört große Schrift bevorzugte, damit auch Menschen mit Sehschwäche nicht auf Informationen zu verzichten brauchten. Eine ausgezeichnete Idee, musste ich im Stillen zugeben, daran hatte nicht einmal der eifrige Goebbels gedacht – mit dieser Maßnahme hätten wir ohne Zweifel noch mehr Begeisterung in diesen Bevölkerungsgruppen entfachen können. Gerade den älteren Volkssturmleuten hatte es in den letzten von mir erlebten Kriegstagen an Schwung, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft gemangelt, wer konnte ahnen, dass so einfache Mittel wie eine größere Schrift so viel Wirkung erzielten?
    Andererseits: Es hatte ja auch Papier gefehlt. Dieser Funk war doch alles in allem ein unheilbarer Trottel gewesen.
    Meine Anwesenheit vor dem Kiosk führte allmählich zu ersten Problemen. Gelegentlich gab es zwar, gerade unter den jüngeren Arbeitern, Heiterkeit, häufiger auch Anerkennung, die in den Worten »kuhl« und »krass« ausgedrückt wurde, unverständlich, gewiss, aber das Mienenspiel ließ auf einen unleugbaren Respekt schließen.
    »Gut, nicht wahr«, strahlte da der Zeitungskrämer den Kunden an, »da merkt man keinen Unterschied, oder?«
    »Nee«, sagte der Kunde, ein Arbeiter, er

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