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Er ist wieder da

Er ist wieder da

Titel: Er ist wieder da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timur Vermes
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ich seine Rede, »wie jeder vernünftige Mensch. Man muss seine Ziele mit ganzer Kraft verfolgen, ja, mit Besessenheit. Der laue, verlogene Kompromiss ist die Wurzel allen Übels und …«
    »Ist ja gut«, unterbrach er mich, »also passen Sie auf. Ich bringe Ihnen morgen ein paar alte Sachen von mir. Sie brauchen sich nicht bedanken, ich hab in letzter Zeit etwas zugelegt, ich bring die Knöpfe nicht mehr zu«, und dabei blickte er unzufrieden auf seinen Bauch, »aber Ihnen könnten sie passen. Sie arbeiten ja glücklicherweise nicht als Göring.«
    »Wie käme ich dazu?«, fragte ich irritiert.
    »Und dann bringe ich Ihre Uniform gleich in die Reinigung …«
    »Die Uniform gebe ich nicht aus der Hand!«, betonte ich unnachgiebig.
    »Schön«, sagte er, und er wirkte mit einem Male ein wenig erschöpft, »dann bringen eben Sie Ihre Uniform in die Reinigung. Aber das sehen Sie doch ein, oder? Dass man die mal sauber machen muss.«
    Man wurde behandelt wie ein kleines Kind, es war empörend. Aber, so viel war klar, das würde so bleiben, solange ich schmutzig wie ein Kind herumlief. Also nickte ich.
    »Bloß mit den Schuhen wird das schwierig werden«, sagte er. »Was haben Sie für eine Größe?«
    »43«, sagte ich gottergeben.
    »Da werden Ihnen meine zu klein sein«, sagte er. »Aber ich lass mir was einfallen.«

iv.
    M an muss dem Leser mit Verständnis begegnen, wenn in ihm an dieser oder auch an anderer Stelle ein Staunen aufkeimt über die Geschwindigkeit, mit der ich mich in die Gegebenheiten der neuen Situation fügte. Es kann auch gar nicht anders sein, dass der Leser, der über Jahre, ja Jahrzehnte meiner Abwesenheit unablässig aus der Suppenkelle der Demokratie mit einem verbogenen marxistischen Geschichtsbilde übergossen wurde, dass er in der Brühe schwimmend kaum noch fähig ist, den Blick über den eigenen Tellerrand hinauszulenken. Ich will hier an den ehrlichen Arbeiter, den braven Bauern auch keinerlei Vorwurf richten. Wie will denn der einfache Mann dagegen aufbegehren, wenn all die vermeintlichen Fachleute und dahergelaufenen Gelehrten vom hohen Katheder ihrer vorgeblichen Wissenstempel herab über sechs Jahrzehnte verkünden, der Führer sei tot? Wer will es dem Manne übel nehmen, dass er inmitten des täglichen Überlebenskampfs nicht die Kraft findet zu sagen: »Wo ist er denn, der tote Führer? Wo liegt er denn? Zeigt ihn mir!«
    Und die Frau natürlich auch.
    Aber wenn der Führer dann plötzlich da ist, wo er schon immer war, nämlich in der Reichshauptstadt, dann ist die Verwirrung, dann ist die allgemeine Überforderung im Volke natürlich so heillos wie das Erstaunen darüber. Und es wäre durchaus verständlich gewesen, wenn auch ich in regloser Verblüffung Tage, ja Wochen verharrt hätte, gelähmt angesichts des Unverständlichen. Doch das Schicksal wollte es, dass ich anders bin. Dass mir beizeiten ermöglicht wurde, mir unter Mühen und Entbehrungen in harten, lehrreichen Jahren eine vernünftige Meinung zu bilden, eine Meinung, die in der Theorie geschmiedet, aber im harten Schlachtfeld der Praxis zur vollkommenen Waffe gehärtet worden war, sodass sie mein weiteres Werden und Wirken seither nahezu unverändert bestimmen konnte – und die auch jetzt keiner neumodischen oder leichtfertigen Neuerung bedurfte, sondern mir im Gegenteil zu alter und zugleich neuer Einsicht verhalf. So war es letzten Endes auch und gerade der Führergedanke, der mich aus meiner fruchtlosen Suche nach Erklärungen riss.
    Ich hatte mich in einer der ersten Nächte unruhig auf meinem Sessel gewälzt, schlaflos nach meiner anstrengenden Lektüre, grübelnd über mein hartes Los, bis mich plötzlich eine Einsicht durchzuckte. Schlagartig setzte ich mich auf, die Augen von der Eingebung aufgerissen, so spähten sie auf die großen Gläser mit buntem Zuckerzeug und allerlei mehr. Es war, so stand es wie in schimmerndes Erz gegossen vor meinem inneren Auge, das Schicksal selbst gewesen, das hier mit undurchschaubarer Hand in den Gang der Ereignisse eingegriffen hatte. Ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirne, es war so offensichtlich, dass ich mich selbst schalt, weil ich es nicht früher erkannt hatte. Zumal das Schicksal nicht zum ersten Male lenkend das Ruder an sich gerissen hatte. War es nicht 1919, auf dem tiefsten Punkt des deutschen Elends, genauso gewesen? War damals nicht ein unbekannter Gefreiter aus dem Schützengraben emporgekommen? Hatte sich nicht trotz der Bedrückung kleiner,

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