Er ist wieder da
wohl neuer Erkenntnisse oder einer Leidenschaft für absonderliche Gestaltung gewöhnungsbedürftig war. So hielt man es inzwischen für zumutbar, dem Gast statt eines Badezimmers eine Art aufwendiger Waschzeile ins Zimmer hinein zu installieren, eine Badewanne gab es dabei überhaupt nicht mehr, dafür wurde die Brause als gläserne Kabine mehr oder weniger im Zimmer selbst untergebracht. Noch mehrere Wochen lang erachtete ich dies als ein Zeichen der Bescheidenheit, ja Ärmlichkeit meiner Unterkunft, bis ich lernte, dass in den heutigen Architekturkreisen derlei als einfallsreich und besonders fortschrittlich gilt. So bedurfte es eben auch eines Zufalls, mich auf den Fernsehapparat aufmerksam zu machen.
Ich hatte vergessen, das Schild an meine Zimmertüre zu hängen, daher war eine Reinigungskraft eingetreten, als ich gerade an der Badezeile meinen Schnurrbart pflegte. Während ich mich überrascht umdrehte, entschuldigte sie sich, sagte, sie würde später wiederkehren, und beim Hinausgehen fiel ihr Blick auf den Apparat, über dem mein Hemd hing.
»Ist etwas mit dem Fernseher nicht in Ordnung?«, fragte sie, und bevor ich noch antworten konnte, griff sie zu einem kleinen Kästchen und schaltete den Apparat ein. Er zeigte sofort ein Bild, das sie mehrfach durch Druck auf die Knöpfe des Kästchens veränderte.
»Geht doch«, sagte sie zufrieden, »ich dachte schon …«
Dann verschwand sie und ließ mich neugierig zurück.
Ich nahm das Hemd vorsichtig von dem Apparat. Dann griff ich nach dem Kästchen.
Dies also war ein heutiges Fernsehgerät. Es war schwarz, hatte keine Schalter, Knöpfe, nichts. Ich nahm das kleine Kästchen zur Hand, presste aufs Geratewohl die Eins, und der Apparat sprang an. Das Ergebnis war enttäuschend.
Ich sah einen Koch, der Gemüse klein hackte. Ich konnte es nicht glauben: Eine derart fortschrittliche Technik wurde entwickelt und genutzt, um einen lächerlichen Koch zu begleiten? Gut, es konnte nicht in jedem Jahr Olympische Spiele geben, auch nicht zu jeder Uhrzeit, aber es musste doch irgendwo in Deutschland oder womöglich gar der Welt etwas Bedeutenderes stattfinden als dieser Koch! Kurz darauf kam auch noch eine Frau hinzu, die sich bewundernd mit dem Koch über sein Geschnipsel unterhielt. Mir blieb der Mund offen stehen. Da war dem deutschen Volke von der Vorsehung eine derart wunderbare, grandiose Möglichkeit der Propaganda geschenkt worden, und sie wurde schlichtweg verplempert mit der Herstellung von Lauchringen. Ich war so wütend, ich hätte im ersten Moment am liebsten den ganzen Apparat aus dem Fenster geworfen, dann allerdings fiel mir auf, dass das kleine Kästchen weit mehr Knöpfe hatte, als man zum simplen Ein- und Ausschalten brauchte. Also drückte ich die Nummer zwei, und sofort verschwand der Koch, um sogleich einem anderen Koch Platz zu machen, der mit großem Stolz den Unterschied zwischen zwei Sorten von Rüben erörterte. Eine mindestens ebenso denkwürdige Amsel wie neben dem ersten Koch stand auch neben dem zweiten und bestaunte die Weisheiten dieses »Rübezahl«. Ich presste entnervt die Drei. So hatte ich mir die neue, moderne Welt nicht vorgestellt.
Rübezahl verschwand zugunsten einer dicken Frau, die ebenfalls an einem Herd stand. Hier war allerdings die Zubereitung eher nebensächlich, die Frau sagte auch nicht, was es heute zu essen gab, sondern stattdessen, dass ihr das Geld hinten und vorne nicht reichte. Das immerhin war eine gute Nachricht für einen Politiker – die soziale Frage war also auch in den letzten sechsundsechzig Jahren nicht gelöst worden. Nun, etwas anderes war von den demokratischen Schwätzern auch nicht zu erwarten gewesen.
Erstaunlich allerdings war, dass sich das Fernsehen derart ausladend damit befasste – verglichen mit einem 100-Meter-Endlauf war die dicke Jammerfrau doch reichlich ereignisarm. Andererseits war ich schon dankbar, dass endlich einmal niemand dem Kochvorgange größere Aufmerksamkeit widmete, am allerwenigsten die dicke Frau selbst. Ihre Sorge galt einer jungen verlotterten Gestalt, die von der Seite nun an sie herantrat, etwas sagte, das wie »grmmmschl« klang, und die von einem Sprecher als Menndi vorgestellt wurde. Menndi, so wurde erklärt, sei die Tochter der dicken Frau, und sie habe gerade einen Ausbildungsplatz verloren. Während ich mich noch wunderte, dass jene Menndi überhaupt zuvor von irgendjemandem einen Ausbildungsplatz erhalten hatte, hörte ich nun, wie sie jegliche Speise
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