Er
sofort zahmer.
Kurz vor der Ankunft in Stornoway, der Hauptstadt von Lewis, knackten die Lautsprecher. Die schottische Durchsage verwirrte Jensen. Er hörte den Kapitän sagen, die Fähre kehre wegen des schlechten Wetters nach Ullapool zurück.
»Wieso kehren wir denn nach Ullapool zurück?«, fragte er einen Mann, der auf der anderen Sitzbank lag. »Wir sind doch schon fast in Lewis. Oder habe ich das falsch verstanden?«
»Sind hier nicht in London«, murmelte der Mann und schloss die Augen wieder.
In seinem Mietwagen fuhr Jensen über die Rampe der Fähre. Der Regen bestrich die Kette der kleinen Häuser am Hafen von Stornoway. Auf den Dächern warteten Möwen. Ein heller Dreiklang kündete eine SMS an. Jensen zog sein Handy aus der Tasche. Es war die erste Nachricht von Lea seit drei Tagen.
Schick mir einen guten ersten Satz, schrieb sie.
Ich bin nicht Stiller, schrieb er zurück.
Er schaltete das Handy aus, um nicht auf eine Antwort von ihr zu warten.
Auf der Uferstraße fuhr er zum Hotel, die Geschäfte wirkten geschlossen, der Regen und starker Wind hielten die Menschen in den Häusern zurück. Er parkte beim Jachthafen, in dem Segelschiffe miteinander schaukelten, kleine Fähnchen knatterten. Das Hotel war eng und schief, ein Geruch nach Bratfett empfing Jensen, und es war merkwürdig, hinter der Rezeption dieses weltabgeschiedenen Hotels einen schönen jungen Mann zu sehen, der in einer pelzbesetzten Strickjacke auf die Liebe seines Lebens wartete.
»Hallo«, sagte der Mann. »Ich bin David. Scheußliches Wetter, nicht wahr?«
Jensen bestätigte es.
David musterte ihn und verlor das Interesse.
»Kennen Sie zufällig einen Mann namens Craig?«, fragte Jensen, während er sein Geburtsdatum ins Formular eintrug. »Ich kenne seinen Nachnamen nicht. Wahrscheinlich gibt es hier viele, die so heißen?«
»Darauf können Sie wetten«, sagte David, und als er lächelte, zeigte er gelbe Zähne, die in seine Schönheit eine kleine Delle schlugen. »Ich kenne mehr Craigs, als ich Finger an den Händen habe. Wohnt er in Stornoway?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er Craig heißt. Lea Panneck? Sagt Ihnen dieser Name etwas?«
»Panneck? Was ist das? Polnisch? Russisch?«
»Deutsch«, sagte Jensen. Es erschütterte ihn, wie wenig er über Lea wusste. War Panneck ihr Mädchenname? Der Name von Tonis Vater?
»Sie ist hier aufgewachsen«, sagte er, aber da war noch etwas in seiner Schatulle: »Sie kennt zwei Männer namens Angus und Sean. Sagt Ihnen das vielleicht etwas? Angus und Sean haben sie in Berlin besucht. Angus ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Vor vier Tagen.«
»Oh!«, sagte David. »Den meinen Sie. Angus Morrison.«
Ein Fisch zappelte an Jensens Haken. »Ich hab’s heute in der Gazette gelesen«, sagte David. »Scheußlicher Unfall. Ganz schrecklich. Ich kannte Herrn Morrison nicht persönlich. Hab ihn nur zwei- oder dreimal drüben in Moiras Pub gesehen. Ach so!« Ein Leuchten huschte über Davids Gesicht. »Meinten Sie vielleicht Craig MacAskill? Den kenn ich nicht. Aber ich weiß, dass Angus und Craig MacAskill zum Cull gehören. Guga Cull. Davon haben Sie vielleicht gehört. Eine scheußliche Sache. Ich bin dagegen. Aber ich bin ja auch nicht von hier. Ich komme aus Edinburgh.« Einen Moment lang blickte David nach Edinburgh. »Ja«, sagte er. »Wo war ich?«
»Craig MacAskill«, sagte Jensen.
»Richtig«, sagte David. »Aber der kann’s ja auch nicht sein. Der ist tot. Wissen Sie denn, ob der Craig, den Sie suchen, noch lebt?«
»Nein.«
»Gehen Sie doch mal rüber ins George and Dragon. Das ist ein Pub, am Ende des kleinen Hafens. Nicht der Hafen, wo die Fähre ankommt. Der Hafen gleich hier draußen. Und am Ende der Straße finden Sie den Pub. Er gehört Moira MacAskill. Richten Sie ihr einen Gruß von mir aus. Sie ist oder besser war die Schwester von Craig MacAskill. Vielleicht kann sie Ihnen weiterhelfen.«
»Danke«, sagte Jensen.
»Hab ich gern gemacht«, sagte David. »Wir suchen doch alle unseren Craig.«
In Jensens Zimmer stand in einem bauchigen Väschen eine Plastikrose. Er legte die Vase zu der Bibel in der Nachttischschublade, zog die weißen, durchbrochenen Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und ließ Wind und Regen an sein Gesicht. Die Masten der Segelboote im kleinen Hafen wankten. Eine Möwe trieb vorbei. Der Wind klapperte mit allem, das nicht fest verschraubt war.
Jensen setzte sich aufs Bett. Er gestattete sich, das Handy
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