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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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erst, als sich in dem wechselnden Licht zwischen den Tannen der Gesichtsausdruck des Jungen veränderte. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen seine erschrockenen blauen Augen an ihren zu kleben, dann waren sie weg.
    Das Geräusch von Metall, das an Metall entlangschabt, fiel mit dem Klirren der Seitenfenster des anderen Wagens zusammen. Die Kinder auf dem Rücksitz in dem anderen Auto kippten zur Seite, während Uffe auf Merete fiel. Hinter ihr zerbrach Glas, und die Windschutzscheibe vor ihr war bedeckt von Bündeln, die aneinanderschlugen. Ob es ihr Auto war oder das der anderen, das die Bäume am Straßenrand abrasierte, registrierte sie nicht. Aber zu dem Zeitpunkt hing Uffes Körper schon verdreht im Sicherheitsgurt, der ihn zu strangulieren drohte. Dann folgte ein ohrenbetäubender Knall, erst von dem anderen Wagen, dann von ihrem Auto. Das Blut auf den Bezügen und der Windschutzscheibe mischte sich mit Schnee und Erde vom Waldboden, und in Meretes Wade bohrte sich ein Ast. Ein abgebrochener Baumstamm riss den Boden des Wagens auf, der von der Wucht des Aufpralls in die Luft geschleudert wurde. Anschließend knallte er unter ohrenbetäubendem Krachen mit der Schnauze voran auf die Straße. In all dem Getöse war ein schneidender Ton vom Ford Sierra zu hören, als dieser einen Baum umriss. In der nächsten Sekunde flog ihr Auto ruckartig herum und rutschte auf der Seite, wo Uffe sich befand, weiter ins Dickicht auf der anderen Straßenseite. Uffes Arm war in die Luft gereckt, die Beine hingen über den Sitz ihrer Mutter, der aus der Verankerung gerissen war. Vater oder Mutter hatte Merete zu keinem Zeitpunkt gesehen. Sie sah immer nur Uffe.
    Sie wachte davon auf, dass ihr Herz so heftig klopfte, dass es wehtat. Sie war nass geschwitzt, und ihr war eiskalt.
     Sie fasste sich an die Brust und setzte sich auf. »Merete, stopp!«, sagte sie laut und atmete so tief durch, wie sie überhaupt nur konnte. Sie versuchte, die Bilder loszuwerden. Nur im Traum sah sie die Details immer so entsetzlich klar vor sich. Damals, als es geschah, konnte sie all diese Einzelheiten gar nicht erfassen - damals waren da nur Helligkeit, Schreie, Blut, Dunkelheit, und dann wieder Licht.
    Sie holte noch einmal tief Luft und sah zur Seite. Im Bett neben ihr lag Uffe und atmete mit leisen Pfeifgeräuschen. Sein Gesicht war ruhig und entspannt. Draußen schlug der Regen an die Dachrinne.
    Sie strich Uffe vorsichtig über das Haar, und als sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, zog sie die Mundwinkel herunter.
    Gott sei Dank suchte sie dieser Traum nur noch selten heim.
     

Kap 10 - 2007
     
    »Guten Tag, mein Name ist Assad«, sagte er und hielt Carl eine behaarte Hand hin.
    Carl wusste nicht gleich, wo er war und wer mit ihm sprach.
    Auch an diesem Vormittag war nichts Weltbewegendes passiert, und so war er tatsächlich mit einem Bein auf der Tischkante, dem Sudokuheft auf dem Bauch und dem Kinn auf der Brust eingenickt. Sein Hemd sah völlig zerknittert aus. Das Bein war eingeschlafen, es prickelte, als er es vom Tisch zog. Verwundert starrte Carl den dunkelhäutigen Mann an, der da vor ihm stand. Er war unter Garantie älter als er selbst. Und unter Garantie nicht in dem Bauernland rekrutiert, aus dem Carl selbst stammte.
    »Okay, Assad«, antwortete Carl träge. Was ging es ihn an? »Du bist Carl Mørck, steht draußen an der Tür. Ich soll dir helfen, sagen die. Stimmt das?«
    Carl kniff die Augen zusammen und überdachte die Spielarten möglicher Antworten.
    »Ja, das will ich doch wohl hoffen«, sagte er schließlich.
 
    Er war selbst schuld. Jetzt hatten ihn seine eigenen, wenig durchdachten Forderungen eingeholt. Denn gerade war ihm aufgegangen, dass die Anwesenheit dieses kleinen Mannes im Büro gegenüber leider eine Verpflichtung beinhaltete. Zum einen musste der Mensch beschäftigt werden, und zum anderen musste er sich jetzt in gewissem Umfang auch selbst beschäftigen. Nein, das hatte er nicht zu Ende gedacht. Solange dieser Kerl dort saß und zu ihm herüberglotzte, konnte er sich nicht wie sonst durch den Tag treiben lassen. An sich hatte er sich vorgestellt, dass es mit einer Hilfskraft ausgesprochen einfach sein würde. Der Typ hätte genug zu tun, und er selbst wäre vollauf damit beschäftigt, auf der Innenseite seiner Augenlider die Stunden zu zählen. Der Fußboden musste gewischt werden, es musste Kaffee gekocht und aufgeräumt und die Akten mussten abgeheftet und an ihren Platz geräumt werden. »Es gibt

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