Erbarmen
und betrachtete kopfschüttelnd die Lippen auf der Karte.
Dann wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Abend im Bankeråt. Auch wenn ihr das ein gutes Gefühl verschaffte - das Ganze war Unsinn. Sie musste es stoppen, bevor sich irgendwas Ernstes daraus entwickeln konnte.
Sie probierte für sich Formulierungen aus, die sie verwenden konnte, dann gab sie die Nummer in ihr Telefon ein und wartete, bis die Mobilbox ansprang.
»Hallo, hier ist Merete«, sagte sie liebenswürdig. »Ich habe darüber nachgedacht, aber es nützt nichts. Meine Arbeit und mein Bruder fordern sehr viel. Und das wird sich auch nie ändern. Es tut mir wirklich sehr leid. Sorry.«
Dann nahm sie ihren Terminkalender vom Schreibtisch und strich in der Telefonliste seine Telefonnummer aus.
In diesem Augenblick kam ihre Assistentin ins Zimmer und blieb abrupt vor dem Schreibtisch stehen.
Als Merete den Kopf hob und sie ansah, lächelte sie auf eine Weise, wie Merete es noch nicht gesehen hatte.
Er stand im Hof des Parlamentsgebäudes unten an der Treppe, ohne Mantel, und wartete. Es war bitterkalt, und er sah nicht gut aus. Trotz des Klimawandels war das Wetter im Februar für einen längeren Aufenthalt im Freien nicht geeignet. Er sah sie flehentlich an, ohne den Pressefotografen zu beachten, der gerade vom Schlossplatz durchs Tor gekommen war.
Sie versuchte ihn zur Eingangstür zu ziehen, aber er war zu groß und zu verzweifelt.
»Merete«, sagte er leise und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Lass das nicht zu. Ich kann das nicht akzeptieren.«
»Es tut mir leid«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Sie sah, wie sein Blick sich veränderte. Plötzlich lag darin wieder etwas, das sie zutiefst beunruhigte.
Hinter ihm hielt der Pressefotograf die Kamera hoch, verdammt. Wenn sie irgendetwas nicht brauchen konnte, dann, dass ausgerechnet ein Paparazzo sie beide fotografierte.
»Ich kann dir leider nicht helfen«, rief sie und rannte zu ihrem Auto. »Es geht einfach nicht.«
Als sie beim Essen anfing zu weinen, hatte Uffe sie zwar verwundert angeschaut, mehr aber nicht. Er führte seinen Löffel so langsam wie immer zum Mund; jedes Mal, wenn er schluckte, lächelte er. Er hielt seinen Blick starr auf ihren Mund gerichtet und war ganz weit weg.
»Ach verdammt«, schluchzte sie und schlug mit der Faust auf den Tisch. Verbittert und frustriert sah sie Uffe an. Leider passierte ihr das in letzter Zeit immer öfter.
Sie war noch nicht wach, der Traum verschmolz mit der Wirklichkeit. Lebendig, kostbar und so schrecklich.
Es war ein wunderbarer Morgen gewesen, damals. Kalt, ein paar Minusgrade und ein bisschen Schnee, genug, um die festliche Stimmung noch zu steigern. Sie waren alle so guter Dinge. Merete war sechzehn Jahre und Uffe dreizehn. Ihre Eltern lächelten sich schon seit dem frühen Morgen verträumt zu. Und lächelnd packten sie den Wagen und fuhren los. Bis es krachte. Der Morgen des Heiligabends, so wundervoll, so vielversprechend. Voller Erwartungen. Uffe hatte sich einen CD- Player gewünscht - es war das letzte Mal in seinem Leben, dass er einen Wunsch aussprach.
Dann waren sie losgefahren. Sie waren fröhlich, Uffe und sie lachten. Wo sie hinfuhren, erwartete man sie schon.
Sie hatten auf der Rückbank gesessen, und Uffe hatte sie geknufft. Zwanzig Kilo leichter als sie, aber übermütig wie ein wilder kleiner Welpe. Und Merete knuffte ihn zurück, sie nahm ihre Mütze ab und klatschte sie ihm an den Kopf. Das machte ihn ganz wild. Und das war wohl auch der Grund, weshalb ihr Geplänkel schließlich ausartete.
In einer Kurve, als sie gerade durch ein Waldstück fuhren, schlug Uffe nach ihr, und Merete packte ihn und drückte ihn auf den Sitz. Er trat und heulte und schrie vor Lachen, und Merete drückte ihn noch weiter nach unten. In dem Augenblick, als ihr Vater lachend mit dem Arm nach hinten schlug, sahen Merete und ihr Bruder auf. Ihr Vater befand sich mitten im Überholvorgang. Der Ford Sierra schräg vor ihnen war rot, und vom Salz und Schnee waren die Seitentüren ganz grau. Ein Paar um die vierzig saß vorn, sie sahen starr geradeaus. Auf dem Rücksitz saßen ein Junge und ein Mädchen, genauso wie sie, und Uffe und Merete lachten ihnen zu. Der Junge war vielleicht zwei Jahre jünger als Merete, er hatte ganz kurze Haare. Er sah sie an, als sie ausgelassen zu ihm hinübersah und spielerisch nach dem Arm ihres Vaters schlug, und sie lachte zurück. Dass ihr Vater die Kontrolle über den Wagen verlor, merkte sie
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