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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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dem letzten Aufstand um das Jugendzentrum. Jetzt wurde er mit Tisch und Stuhl und Besenschrank und all den Neonröhren eingerichtet, die Carl rausgeschmissen hatte. Marcus Jacobsen hatte Wort gehalten und ein Mädchen für alles eingestellt. Im Gegenzug verlangte er, dass die Person auch in den übrigen Kellerräumen sauber machte. Das würde Carl bei anderer Gelegenheit später schon noch ändern, und damit rechnete Marcus Jacobsen garantiert auch. Das alles war ein Spiel, wer wann was entscheiden konnte und wo die Grenzen zwischen ihnen verliefen. Aber Carl war schließlich derjenige, der unten im Dunkeln saß, während die anderen oben die Aussicht zum Tivoli genossen. Zug um Zug würde Carl das Gleichgewicht schon wieder herstellen.
    Um dreizehn Uhr am selben Tag erschienen zwei der Sekretärinnen aus der Verwaltung endlich mit den Akten. Sie sagten, es seien übergeordnete Akten, und wenn er ausführliches Hintergrundmaterial haben wolle, könne er das über sie anfordern. Auf diese Weise hatte er zumindest jemand in seiner alten Abteilung, mit dem er weiter Kontakt halten konnte. Zumindest eine der beiden, Lis, eine warmherzige blonde Frau mit leicht schrägen, sexy Schneidezähnen, hatte es ihm schon immer angetan. Mit ihr würde er sehr gern mehr als nur Hintergrundmaterial austauschen.
    Er bat sie, auf jede Seite des Schreibtischs einen Stoß Akten zu legen. »Sehe ich zufällig ein kokettes Funkeln in deinen Augen, Lis, oder siehst du immer so verdammt gut aus?«
    Bei dem Blick, den die Dunkelhaarige ihrer Kollegin zuwarf, hätte selbst Einstein sich dämlich gefühlt. Vermutlich war es lange her, seit sie selbst zur Zielscheibe solcher Bemerkungen geworden war.
    »Carl, mein Lieber«, sagte die blonde Lis wie jedes Mal. »Dieses Funkeln ist ausschließlich meinem Mann und den Kindern vorbehalten. Wirst du das nicht irgendwann mal lernen wollen?«
    »Ich lerne es an dem Tag, an dem das Licht erlischt und die ewige Finsternis mich und die ganze Welt verschlingt«, antwortete er.
    Noch bevor sie an der Treppe ankamen, zischelte die Dunkelhaarige ihrer Kollegin sichtlich entrüstet etwas ins Ohr.
    In den ersten Stunden ließ er die Aktendeckel geschlossen. Immerhin zählte er die Ordner einmal durch. Es waren mindestens vierzig. Ich habe reichlich Zeit, mindestens zwanzig Jahre bis zur Pensionierung, dachte er und legte noch eine Spider-SolitärPatience. Falls die nächste aufging, würde er erwägen, sich den Stapel rechts mal genauer anzuschauen.
    Als er mindestens zwanzig Patiencen durchgezogen hatte, klingelte sein Handy. Die Nummer auf dem Display kannte er nicht. Irgendwas mit 3545. Es war eine Kopenhagener Nummer. »Ja?«, sagte er und erwartete, Viggas exaltierte Stimme zu hören. Sie fand immer wieder eine treue Seele, die ihr ein Telefon lieh. »Mutter, nun schaff dir doch mal ein Handy an«, sagte Jesper immer. »Total bescheuert, dass man deinen Nachbarn anrufen muss, wenn man dich erreichen will.«
    »Ja, guten Tag.« Die Stimme war auf keinen Fall Viggas. »Mein Name ist Birte Martinsen. Ich bin Psychologin in der Klinik für Wirbelsäulenverletzungen. Hardy Henningsen hat heute Vormittag versucht, ein Glas Wasser, das ihm ein Krankenpfleger gegeben hat, bis direkt in die Lungen zu saugen. Er ist okay, aber sehr down, und er hat nach Ihnen gefragt. Könnten Sie bitte kommen? Ich glaube, das wäre gut.«
 
    Er erhielt die Erlaubnis, mit Hardy allein zu sein, obwohl die Psychologin offenkundig sehr gern zuhören wollte.
    »Bist du das Ganze leid, alter Knabe?«, sagte er und nahm Hardys Hand. In der war zumindest noch etwas Leben, das wusste Carl. Jetzt eben bewegte Hardy die äußersten Glieder des Mittel- und des Zeigefingers, als wollte er Carl näher zu sich heranziehen.
    »Ja, Hardy?«, sagte Carl und legte sein Ohr an den Mund des Freundes.
    »Bring mich um, Carl«, flüsterte der.
    Carl richtete sich auf und sah ihm in die Augen. Dieser große Mann hatte die blauesten Augen der Welt, und jetzt waren sie voller Trauer und Verzweiflung. Hardys Blick ließ keinen Zweifel dar an, dass er es ernst meinte.
    »Zum Teufel, Hardy«, flüsterte er. »Das kann ich nicht. Du wirst wieder. Du wirst wieder aufstehen und gehen. Hardy, du hast einen Jungen, der seinen Vater gern wieder zu Hause haben will!«
    »Er ist zwanzig, der kommt zurecht«, flüsterte Hardy. Er war der Alte. Er war vollständig klar im Kopf.
    »Ich kann nicht, Hardy. Du musst durchhalten. Du wirst wieder gesund.«
    »Carl. Ich bin

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