Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
Dampfwalze, wenn sie glaubte, im Recht zu sein, und das glaubte sie fast immer. Das Einzige, was Lily davon abhielt, ihr ab und zu eine zu kleben, war die Tatsache, dass Bay das Herz unverrückbar am rechten Fleck hatte.
»Mir geht’s gut, Bay. Ich hatte schon länger kein Stelldichein mehr mit Prinz Schlaflos, also war sein Besuch wohl mal wieder fällig. Er hat sich nicht verändert – nur leere Worte, keine Taten.« Lily hatte beschlossen, dass Humor im Umgang mit diesem Dauerthema die beste Methode war.
»Ha.« Ihre Freundin sah sie ausdruckslos an. »Lily, ich weiß, von Mode habe ich keinen blassen Schimmer, aber diese dunklen Ringe unter deinen Augen stehen dir einfach nicht. Genauso wenig wie mir übrigens. Ich mache mir Sorgen. Du bist seit Freitagabend so komisch. War wirklich alles in Ordnung, als du von der Geisterjagd weggefahren bist? Hat dich irgendwas in Panik versetzt, und du willst es mir nur nicht sagen?«
Lily verbarg ihr Unbehagen hinter einem amüsierten Lächeln. Bay kam der Wahrheit sehr viel näher, als ihr lieb war, und sie wollte noch nicht darüber reden – falls sie das überhaupt jemals wollen würde.
»Du meinst, abgesehen von dem Paar, das es in dem Schrank getrieben hat? Nein. Ich glaube immer noch, dass die Behauptung, die Villa wäre verhext, nur ein Werbegag ist. Lokalkolorit. Übrigens – wie geht es denn dem niedlichen Technofreak?«
Bay spitzte die Lippen und kniff die Augen zusammen. »Du lenkst schon wieder ab. Dieses Gespräch ist noch nicht beendet, Lily Quinn. Aber da ich ihn dir zu verdanken habe … Dem niedlichen Technofreak – er heißt übrigens Alex – geht es gut. Glaube ich jedenfalls. Am Wochenende konnten wir uns nicht treffen, aber ich bin mit ihm zum Essen verabredet in …« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und riss entsetzt die Augen auf. »… Meine Güte, in einer Stunde.« Sie blickte an sich hinunter. Überall waren Hundehaare. Mit einem schelmischen Funkeln in den Augen sah sie wieder zu Lily hoch. »Beim ersten Date sollte er mein wahres Ich noch nicht kennenlernen, meinst du nicht auch?«
»Dein wahres Ich ist großartig«, erwiderte Lily. »Ich hoffe nur, er ist nicht allergisch gegen Tierhaare.« Sie lehnte sich an den schweren Metalltisch, der neben dem Pult stand. Die Erschöpfung, die schon das ganze Wochenende wie ein Geier über ihr gekreist hatte, stürzte sich jetzt gnadenlos auf sie. In einem Punkt hatte Lily ihre Freundin nicht angelogen. Ihre sogenannte Schlaflosigkeit hatte sie schon längere Zeit nicht mehr gequält. Was Bay nicht wusste – und was Lily auch nicht vorhatte, ihr zu verraten – war, dass ihre Schlaflosigkeit volle Absicht und reine Selbstverteidigung war. Sogar diese in alle Knochen kriechende Müdigkeit war besser als der Albtraum von der Frau im Tempel, der sich immer und immer wiederholte. Nur einmal hatte sie darüber gesprochen, und sie würde es nie wieder tun.
Letztlich war das Ergebnis immer das gleiche. Das ganze Wochenende hatte sie nicht mehr als fünf Stunden geschlafen, und an diesem Punkt kamen ihr Körper und ihr Kopf normalerweise zu dem gemeinsamen Beschluss, dass es Zeit war, ins Bett und in tiefen Schlaf zu fallen. Aber Bay, hartnäckig wie sie nun mal war, war nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
Die Augenbrauen ihrer Freundin waren so nah zusammengerückt, dass sich auf ihrer Stirn eine steile Falte gebildet hatte, die Lily wohlvertraut war.
»Ist wirklich alles in Ordnung, Lily? Ich meine es ernst. Du bist viel zu blass.«
Lily lächelte sie mit ehrlicher Zuneigung an. »Du machst dir zu viel Sorgen, Bay.«
»Irgendjemand muss das ja tun. Ich kann echt nicht verstehen, wie du es so lange aushältst ohne …« Sie bekam den Mund gerade noch zu, bevor ihr die Worte entschlüpften.
Aber Lily wusste genau, was sie hatte sagen wollen. Ohne eine Familie. Ohne jemanden, dem du wichtig bist. Auch unausgesprochen taten die Worte weh. Es gab in Lilys Leben vieles, was sie sich gewünscht, aber nicht bekommen hatte. Mitleid gehörte allerdings nicht dazu.
»Ich kann selbst auf mich aufpassen«, erwiderte Lily kurz angebunden. »Das sollte dir doch allmählich klar sein.« Sie wollte sich weder mit Bay streiten noch sie mit irgendwelchen blöden Allgemeinplätzen abspeisen. Aber sie war nicht in der Stimmung, über ihre Familie oder besser deren Nichtexistenz zu debattieren. Nicht jetzt. Am liebsten nie. Sie wandte den Blick ab und begann steif, ihre Sachen
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