Erben des Blutes 01 – Dunkler Fluch
zusammenzusammeln.
Als Bay ihr sanft und entschuldigend die Hand auf die Schulter legte, hielt sie inne, blickte Bay jedoch nicht an. Sie wollte nicht, dass Bay die Tränen sah, die ihr plötzlich in den Augen standen. Meine Güte, muss ich erschöpft sein , dachte sie. Normalerweise gingen ihr Bemerkungen über ihr beschissenes elternloses Leben nicht so an die Nieren.
Andererseits fühlte sie sich immer, wenn sie derart müde war, auch entsetzlich allein.
»Es tut mir leid, Lily. Ich weiß, dass du selbst auf dich aufpassen kannst. Aber bin ich ein schlechter Mensch, nur weil ich mir wünsche, du hättest das nicht schon so lange tun müssen?«
Lily seufzte. Ihre Schultern sackten herab. »Nein. Ich kann es nur nicht ab, wenn man mich wie das arme kleine Waisenkind behandelt, das niemand wollte. Das ist so erbärmlich.«
»Nein. Erbärmlich ist es, wenn man ein Kind adoptiert und es in dem Moment fallen lässt, in dem diese aufgespritzte und abgesaugte Pseudo-Schönheit doch noch selbst schwanger wird. Erbärmlich ist es, wenn einem das Aussehen wichtiger ist als das Kind selbst.«
Bay klang zornig, und dafür liebte Lily sie. Aber es wurde höchste Zeit, dieses Gespräch zu beenden. Sie wollte sich nicht mehr den Kopf zergrübeln über die Familie, die sie rausgeworfen hatte, oder über den Grund, warum sie das getan hatte.
Sie blinzelte die Tränen weg, richtete sich auf und wandte sich zu ihrer Freundin um. »Sie spielen keine Rolle, Bay. Schon lange nicht mehr. Trotzdem weiß ich es zu schätzen, dass du ihnen am liebsten stellvertretend für mich den Hintern versohlen würdest. Aber ich bin total müde, und das bedeutet, Prinz Schlaflos hat sich endlich verkrümelt. Ein paar Stunden Schlaf, und alles ist wieder bestens.«
Bay nahm die Hand weg und trat einen Schritt zurück, aber die steile Falte zwischen ihren Augenbrauen blieb. »Bist du sicher?« Besorgt sah sie Lily aus ihren großen blauen Augen an. »Alles okay zwischen uns?«
»Alles okay. Versprochen. Geh und amüsier dich. Und ruf mich morgen an, und erzähl mir alles bis ins letzte Detail.«
Bay runzelte die Stirn. »Wie detailliert hättest du es denn gern? Etwa Sex inklusive?«
Lily zog die Nase kraus. »Nein, eher ob er noch bei seiner Mama lebt und Actionfiguren sammelt.«
Sie lachten beide.
»Sollst du haben«, sagte Bay und schlang die Arme um Lily. An diese spontanen Umarmungen hatte Lily sich erst gewöhnen müssen, doch für Bay waren sie so natürlich wie Atmen. Lily beneidete ihre Freundin um diesen unkomplizierten Umgang mit körperlichen Liebesbezeugungen. In Lilys Leben hatte es so etwas so selten gegeben, dass sie immer noch erschrocken erstarrte, wenn jemand sie freundlich umarmte.
Außer natürlich, wenn dieser Jemand ein Mann war, der nur aus Mondlicht und Schatten zu bestehen schien.
»Pass gut auf, wenn du nach Hause fährst. Ich würde dir ja anbieten, dich mitzunehmen, aber ich weiß genau, was ich dann zu hören kriege.«
»Endlich hast du es kapiert.« Lily drückte Bay kurz die Hand und zog sie dann rasch zurück. Es nervte sie, dass sie schon wieder an Tynan gedacht hatte. Sie brauchte dringend Schlaf. Jede Menge Schlaf. Sie konnte wirklich gut selbst auf sich aufpassen, genau wie sie Bay gesagt hatte. Und mit ihr stimmte auch alles.
»Ich komme morgen in den Laden und bringe ein paar Hamburger mit, dann kannst du mir alles erzählen«, sagte Lily und zwang sich, es fröhlich klingen zu lassen.
»Klingt gut«, erwiderte Bay und nickte. »Vermutlich kann ich moralische Unterstützung brauchen. Moses kommt morgen.«
Lily schauderte verständnisvoll. Bay besaß einen erfolgreichen Hundesalon, und den Erfolg hatte sie vor allem der Tatsache zu verdanken, dass sie so ziemlich alles liebte, was ein Fell hatte, selbst wenn es aggressiv war. Sogar Moses liebte sie, den nervösen Bernhardiner, der zwar harmlos war, aber unter so etwas wie dem Hunde-Pendant zum menschlichen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu leiden schien. Außerdem sabberte er pausenlos.
»Also abgemacht, Burger von Frank’s«, sagte Lily. »Wir finden bestimmt irgendein winziges Fleckchen zum Essen, das nicht vollgesabbert ist.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, erwiderte Bay. »Und da wir gerade von Sabber sprechen – ich glaube, ich muss mich jetzt für den niedlichen Technofreak schick machen. Drück mir die Daumen!«
Lily sah ihrer Freundin hinterher, wie sie den Gang entlangging und den Hörsaal verließ. Als die Tür hinter ihr ins Schloss
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