Erbin des Gluecks
für kirchliche Feiern waren seit einigen Jahren merklich gelockert worden. Man spielte modernere Musik, und wer etwas über den Verstorbenen sagen wollte, bekam uneingeschränkt die Gelegenheit dazu. Auch der modische Geschmack hatte sich gewandelt. Die meisten Trauergäste, denen die Welt ohne Sir Francis weitaus lebenswerter erschien, hatten sich angezogen, als wollten sie keinen Gottesdienst, sondern den berühmten „Melbourne Cup“ besuchen. Man spürte sogar etwas von der dort üblichen Spannung. Wer alte Freunde traf, musste aufpassen, nicht laut zu sprechen oder zu lachen. Diskretes Lachen war nur während der – teilweise humorvollen – Nachrufe erlaubt.
Carina Forsyth stahl allen die Schau. Wie gewöhnlich trug sie die teuerste Garderobe und den kostbarsten Schmuck. Jeder staunte über ihre Perlenkette, bei der jede der drei Reihen auf hunderttausend Dollar geschätzt wurde. Niemand sprach mehr über den jüngsten Skandal, bei dem eine Dame der Gesellschaft die Forsyth-Erbin bezichtigt hatte, eine Affäre mit ihrem Ehemann zu haben. Dabei sollte sogar der Ausdruck „Schlampe“ gefallen sein. Das war heute vergessen – zumindest während der Trauerfeier. Später, beim Umtrunk zu Ehren des Verstorbenen, würde es vielleicht anders zugehen.
Francesca, die „zweite Besetzung“, war im Gegensatz zu ihrer Cousine betont schlicht angezogen. Sie hatte sich für ein schlichtes schwarzes Kostüm, einen dezenten Hut und kaum Schmuck entschieden und die Haare zu einem Nackenknoten frisiert, der mit einem schwarzen gerippten Seidenband gehalten wurde. Sie hatte sogar eine Sonnenbrille aufgesetzt, hinter der sie sich verstecken konnte. Nicht, dass Francesca so etwas nötig gehabt hätte. Sie erfreute sich in der Öffentlichkeit eines ausgezeichneten Rufs. Als eine Forsyth hätte sie ihrer Cousine nacheifern und wie eine Schmarotzerin leben können, aber sie setzte sich für gute Zwecke ein, wie ihre allgemein beliebte Tante Elizabeth, die sonderbarerweise bei den Macallans saß.
Das größte Interesse galt neben den beiden Erbinnen dem Testament von Sir Francis. Was hatte er darin verfügt? Dass sein Sohn Charles den größten Teil erben würde, unterlag keinem Zweifel, obwohl er in der Geschäftswelt nicht als großes Licht angesehen wurde. Es existierten mehrere Treuhandfonds, die auch entfernten Verwandten ein Einkommen sicherten, doch das meiste des Forsyth-Vermögens würde traditionsgemäß dem ältesten Sohn zufallen. Sir Francis’ zweiter Sohn Lionel, mit dem er sich schon früh überworfen hatte, lebte nicht mehr.
Charles Forsyth saß, für alle sichtbar, in der ersten Reihe auf der rechten Seite. Links erkannte man Bryn zwischen seiner Großmutter, Lady Antonia Macallan, und seiner schönen Mutter Annette, die trotz zahlreicher Anträge nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes nicht wieder geheiratet hatte. Bryn Macallan galt als hochkarätig. Man wusste, dass er sich unter Sir Francis auch bei schwierigen Aufgaben glänzend bewährt hatte. Er zählte landesweit zu den begehrtesten Ehekandidaten, war aber immer noch Junggeselle. Aus der von Sir Francis angestrebten Verbindung zwischen den Forsyths und Macallans war bisher nichts geworden. Man zweifelte jedoch nicht daran, dass sie in absehbarer Zeit zustande kommen würde.
Der Minengigant „Titan“ war einfach zu groß, um einer Familie zu gehören oder von einem Mann geleitet zu werden. Allerdings sah es so aus, als könnte Bryn Macallan aufgrund seiner Familiengeschichte, seines scharfen Intellekts und seines brillanten Geschäftssinns dieser Mann werden. Waren das nicht einzigartige Voraussetzungen für eine eheliche Verbindung mit Carina Forsyth? Das Schicksal hatte sie beide auf die oberste Stufe gestellt.
4. KAPITEL
Hunderte von Menschen begaben sich vom Friedhof zur Forsyth-Villa – einem modernen, kastellartigen Bau – und füllten die weitläufigen Empfangsräume, als wären sie zur Besichtigung vor einer Auktion gekommen. Nur wenige waren schon einmal dorthin eingeladen worden. Die meisten kannten sie nicht und sahen sich jetzt neugierig, erstaunt, bewundernd oder auch enttäuscht um.
Charles Forsyth stand vor einem riesigen Marmorkamin – er hätte aus einem alten Medici-Palast stammen können – und fröstelte, obwohl es ein heißer Tag war. Die höhlenartige Feuerstelle, in der mehrere Spanferkel Platz gehabt hätten, wurde von einem gewaltigen Blumenarrangement aus weißen Lilien und Palmwedeln dominiert.
„Nimm dich,
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