Erdbeerkönigin
lang zu. Dann sagt Mia: »Vielleicht können Mama und ich einmal gemeinsam an die Elbe fahren.« Sie rückt etwas von mir ab und sieht mich bittend an. »Und du kommst vielleicht auch mal mit. Du, Hubertus und Theo.«
Ich sehe Alexandra, Mia, Hubertus, Theo und mich am Elbstrand sitzen. Das hier ist der Moment, schießt es mir durch den Kopf, von dem an meine Erinnerung an diese Tage in Hamburg scharf und konturiert sein werden. Von diesem Moment an gehöre ich unverrückbar zu Daniels Familie, zu seinen Freunden. Die Zeit davor verschwimmt in undeutlichen Bildern von Begegnungen, Gefühlen, Erlebnissen, Ängsten. Hier in diesem Augenblick, mit Mia und all den anderen Trauergästen, mit Dr. Lenchen und Alissa, Stani und Sven Berger, bin ich in Daniels Leben angekommen. Und auf eine wunderbare Weise gehört auch Nick auf einmal dazu, obwohl wir noch gar nicht miteinander gesprochen haben.
Zwei Stunden später ist die Party zu Ende. Die Regale sind leer geräumt, fast alle Bücher, DVDs, CDs, Fotos, Gemälde und Kleidungsstücke haben Abnehmer gefunden. Dr. Lenchen, Maria und Stani nehmen gemeinsam ein Taxi. Nick verabschiedet sich herzlich von Filou, und dann hilft er Alissa und mir, die Spuren der Party zu beseitigen. Dabei streifen wir einander immer wieder mit Blicken, ein paarmal berühren sich unsere Hände, als ich Gläser aus der Spülmaschine nehme, und einmal stoße ich mit ihm in der Küchentür zusammen, so dass er mich festhalten muss. Wir sind beide auf eine kribbelige Weise verlegen, wie Frischverliebte. Alissa merkt das auch. Sie umarmt uns und gähnt übertrieben. »Kinder, ich weiß, ihr brennt darauf, mit mir noch eure Beziehungsprobleme zu durchleuchten. Aber ich muss morgen wieder früh raus – und Eva hat eine Beerdigung.«
Nick flachst: »Alissa, geh nicht. Wir wissen ohne dich gar nicht, was wir miteinander reden sollen.«
Sie winkt ab. »Tschechow sagt: ›Verliebte verstehen sich am besten, wenn sie schweigen.‹«
Wir hören sie ins Badezimmer gehen, dann klappt die Tür zum Kinderzimmer. Wir sind allein. Endlich.
»Du kannst in Daniels Schlafzimmer schlafen«, murmele ich, um irgendetwas zu sagen. »Hast du eine Tasche mit?«
Nick sieht mich mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Zärtlichkeit an. »Steht hinter der Küchentür.«
Mein Herz pocht heftig gegen die Rippen. Nick legt den Kopf schief. »Wo schläfst du denn?« Während er diese Frage stellt, packt er aus der Tasche einen großen, in Zeitungspapier eingewickelten Gegenstand. Er reißt das Papier ab und hält mir einen kleinen, hübschen Blumentopf mit einer Erdbeerpflanze voller Früchte hin.
Ich atme tief durch.
In diesem Augenblick verzieht Nick den Mund zu einem Lächeln, das meine allerletzten Bedenken wegfegt. Er stellt den Erdbeertopf auf den Küchentisch, öffnet seine Arme und zieht mich an sich.
Erst hält er mich sehr zart, als ob er Angst hätte, mich zu zerbrechen. Aber dann suchen seine Lippen meine, unwillkürlich schmiege ich meinen Bauch an seinen, seine Hände umfassen meine Hüften. Ich schließe die Augen. Und dann spüre ich ihn wieder, diesen lange vermissten, hellflirrenden Funken der Lust, der hin und her flattert wie ein Glühwürmchen und sich vom Bauchnabel aus im ganzen Körper ausbreitet.
Nun ist keine Zeit mehr für Geduld. Wir küssen einander, erst zärtlich und langsam, dann immer heftiger. Nick leitet mich rückwärts zum Sofa im Wohnzimmer. Wir hören nicht auf, einander zu küssen. Und dann sind wir beide nackt und einander so nah.
Hinterher kuschelt sich Nick an mich, sein Atem streichelt warm meinen Nacken.
Während er meine Taille, meine Hüften, meinen Po streichelt, sagt er: »Jetzt müsste man sich ins Auto setzen und losfahren. Dem Sonnenaufgang entgegen, der Nase nach. Anhalten, wo es schön ist, bleiben, wo man sich wohl fühlt.«
Ich stutze für einen Moment. »Genau das habe ich an dem Morgen gedacht, als ich den Brief von Hubertus bekam!«
»Aber du bist dann allein gefahren.«
Ich nehme seine Hand und küsse liebevoll seine Finger. »Nur nach Hamburg.«
Nick stützt sich auf einen Ellbogen. »Hast du gefunden, was du gesucht hast?« Etwas verletzt klingt seine Stimme, aber seine Frage ist ehrlich interessiert.
»Ja.«
Ich erzähle ihm alles – von Daniel und mir. Von meinen kleinen Sehnsuchtsanfällen und meinen Befürchtungen, etwas verpasst zu haben. Aber auch von meiner neuen Sicherheit und meinem Glauben an unser gemeinsames Glück.
»Wirst
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