Erdbeerkönigin
du dich immer nach Daniel sehnen?«
Ich lehne mich an ihn und antworte schnell und sicher: »Nein. Nicht mehr.«
Erleichtert atmet er auf. »Eva, liebst du mich noch?«
Ich sehe in seine Augen, und mein Herz wird weit. Ich öffne meine Arme. Bevor ich ihn küsse, flüstere ich: »Ja! Ja! Ja!« Später betrachte ich Nicks Körper. Seine muskulösen Beine, seine weichen, gelockten Brusthaare. Ich streiche über seinen Bauch, seine Schultern, vergrabe meine Nase in der Beuge zwischen Ohr und Hals und atme seinen Duft tief ein. »Du bist wunderschön.«
Nick nimmt meine Hand. »Das machst du, Eva. Du machst mich schön.« Er küsst mich. »Wieder schön.«
»Wieder schön?«
»Na, ich hatte in den letzten Monaten das Gefühl, dass du mich nicht mehr gesehen hast.«
Mir schießt das Blut in den Kopf. »Weil ich gar nichts mehr gesehen habe. Mamas Tod hat mich aus der Bahn geworfen. Und die Probleme mit Benny. Ich habe mich selbst überhaupt nicht mehr gespürt.« Ich schweige für einen Moment und fahre mit meinen Fingern seine weichen Augenbrauen entlang. »Wie geht’s Benny?«
Nick schmiegt sein Gesicht an meine Hand und seufzt. »Ich finde, er muss da allein durch. Er ist alt genug, um die Konsequenzen seines Handeln zu tragen.« Er sieht mich prüfend an. »Wie denkst du darüber?«
»Genauso. Dann macht er eben das Berufsschuljahr noch einmal und legt die Prüfung später ab. Wir können nicht immer die Kohlen für ihn aus dem Feuer holen.«
Nick nickt erleichtert. Er stützt sich auf einen Ellbogen und streichelt gedankenverloren meinen Bauch. »Viel wichtiger ist für mich, dass zwischen uns alles wieder stimmt. Du sollst dich wieder spüren. Du bist immer noch du. Meine Frau.« Er drückt seinen Körper an meinen. »Und jetzt? Besser?«
Ich möchte in einem fort lächeln und küssen und küssen und lächeln. »Viel besser.«
Nick streckt sich. »Endlich haben wir einmal Ruhe und können reden. Ich habe mit Antje gesprochen …«
Eiskalt durchfährt mich die Eifersucht. »Mit Antje? Worüber denn?«
»Die hat große Probleme in ihrer Ehe. Die Luft ist raus, sagt sie, die Romantik ist weg und so. Sie will sich wieder neu verlieben.«
Mein Magen krampft sich zusammen. Doch Nick setzt seinen Satz fort: »Ich verstehe das nicht. Warum soll denn junge Liebe besser sein als alte? Ich will mich nicht neu verlieben – höchstens in dich.« Er vergräbt seine Nase in meinen Haaren und flüstert: »Ich bin gerade dabei!« Er rückt wieder ein wenig von mir fort. »Im Ernst, Eva, ich sehe unsere Liebe wie unser Haus. Ja, es war aufregend, als wir über dem Grundriss gebrütet haben, es war spannend, als wir Richtfest gefeiert haben, und die erste Nacht in unserem neuen Schlafzimmer werde ich wohl nie vergessen. Aber ich will kein neues Haus bauen und noch einmal alles von vorn anfangen. Ich will weiter – mit dir.«
Er küsst mich, und ich weiß, dass es überhaupt keine Eile gibt. Sondern nur noch wunderbare Möglichkeiten. Mit Nick.
Heute, gestern & morgen
Als ich wieder auf die Uhr blicke, höre ich die Vögel singen. Es fast halb sechs und die Morgensonne legt ihren hellen Schein über die Hochhäuser. Neben mir schläft Nick mit leicht geöffnetem Mund. Ich kann mich gar nicht an ihm sattsehen: an seinen dunklen Locken, die sich jetzt wild in die glatte Stirn kringeln, seinen sanft geschwungenen Lippen, seinen dichten Augenbrauen. Obwohl ich mich noch einmal zu ihm kuscheln könnte, erfüllt mich Unruhe. Ich will noch einmal allein von Daniels Wohnung Abschied nehmen. Also hauche ich Nick einen Kuss auf die Stirn und gleite vom Sofa. Auf nackten Füßen schleiche ich – geräuschlos, um Alissa oder Nick nicht zu stören – über den Flur. Zwei Wochen war diese Wohnung mein Zuhause. Und noch immer ist die Frage ungeklärt, warum Daniel wollte, dass ich an seinem Grab spreche.
Nachdenklich setze ich mich auf das Bett in seinem Schlafzimmer. Mein Blick bleibt an der Postkarte hängen, die in ihrem schönen Rahmen in der Morgensonne leuchtet. Auch jetzt gibt mir das Bild keine Antwort. Ich betrachte die Erdbeerpyramide in dem geflochtenen flachen Korb, die beiden weißen Nelken, das Glas Wasser, die zwei Kirschen, die vor einem Pfirsich oder einer Aprikose liegen.
Ich hatte die Postkarte damals im Kartenständer eines Ladens am Hamburger Hauptbahnhof entdeckt und spontan gekauft. Denn Daniels Stimme klang mir noch im Ohr: »Du bist etwas Besonderes. Eine Königin. Eine Erdbeerkönigin!« Oder
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