Erdbeerkönigin
Herrn Eisenthuer. Seine Freunde sind gekommen, um …«
Frau Majakowski fällt mir ins Wort: »Aber ich dachte, Herr Eisenthuer, also er ist doch, nun ja, gestorben!«
Ihr Mann nickt bekräftigend. »Auf jeden Fall muss der Lärm jetzt aufhören, sonst hole ich die Polizei.« Er will noch etwas sagen, aber in dieser Sekunde kommt Nick mit der erfreuten Miene eines Gastgebers, dessen Ehrengast soeben eingetroffen ist, an die Tür geeilt. Ich starre ihn ebenso überrascht an wie die Majakowskis.
Nick wirft mir fast unmerklich einen Seitenblick zu, der mir Stromstöße durch den Körper jagt. Er streckt mit gewinnender Freundlichkeit seine Hand aus, die Majakowski perplex ergreift. Als Nächstes hakt Nick beide Pyjamas kurzerhand unter. »Dass Sie extra aufstehen, um Ihrem Nachbarn die Ehre zu erweisen … Respekt!« Er lotst die beiden Richtung Küche und ruft Maria zu: »Bitte zwei Gläser für unsere Freunde hier!«
Ich trotte der kleinen Gruppe sprachlos hinterher. In der Küche werden die Neuankömmlinge mit großem Hallo begrüßt. Pyjama-Majakowski macht jetzt eine unbestimmte Verbeugung in die Runde.
»Wir sind Werner und Martina Majakowski, wir wohnen im zweiten Stock.«
Nick reicht beiden ein Glas Wein. Er stößt mit ihnen an, und ich sehe, wie sich die grimmige Miene von Werner Majakowski entspannt. Stanis Walzermusik dringt bis in die Küche herüber. Nick nimmt Martina Majakowski das Glas ab und deutet einen Handkuss an. »Ich wollte schon immer einmal mit einer Frau im Pyjama tanzen. Darf ich?«
Sie starrt ihn an, als sei er ein Marsmännchen, sieht unsicher zu ihrem Mann hinüber, der ebenso erstaunt wirkt wie sie und die Augenbrauen hochzieht. Aber dann kichert Martina Majakowski unbekümmert und hängt sich bei Nick ein.
Während der Unterkiefer ihres Mannes vor Staunen hinunterklappt, walzt Nick mit Frau Majakowski aus der Küche. Majakowski fasst sich erstaunlich schnell und stößt mit Alexandra an. »Und da heißt es immer Totenstille!« Er grinst, als hätte er einen guten Witz gemacht.
Alexandra lächelt darauf so kühl, dass dem Bandemantel nichts mehr einfällt – er trollt sich und sucht seine Gattin. Wenig später sehe ich die Pyjamas im Flur Tango tanzen. Es ist ein wunderbares Fest.
Allerdings haben Nick und ich immer noch nicht miteinander gesprochen. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, ist er in ein Gespräch vertieft oder tanzt gerade. Kenne ich meinen Mann noch? Wie unbekümmert er sich auf dieser Party bewegt! Die interessierten Blicke, mit denen ihn die anderen Frauen bedenken, entgehen mir nicht. Filou hat sich nach einem kurzen Moment des Erschreckens angesichts dieser neuen Konkurrenz gefasst und offenbar entschieden, sich mit Nick anzufreunden. Jetzt sitzen beide mit einer Flasche Wein am Tisch auf dem Küchenbalkon. Ein Platz an dem Tisch ist noch frei. Entschlossen greife ich ein Glas und will gerade zu ihnen treten, als Mia und Alexandra in der Küche auftauchen. Mia umarmt mich von hinten. Sie flüstert mir ins Ohr: »Ich muss dir etwas sagen.« Pantomimisch bedeutet sie mir, dass Alexandra davon nichts mitbekommen soll. Doch Alexandra ist bereits in ein Gespräch mit Dr. Lenchen verwickelt, die mit Alissa am Küchentisch Tee trinkt. Also lasse ich mich von Mia durch den Flur in das Kinderzimmer schieben. Von draußen fällt nur wenig Licht herein, und als ich nach dem Lichtschalter suche, sagt Mia: »Ich brauche kein Licht. Und du?« Sie setzt sich auf das Bett.
»Ich auch nicht.« Ich setze mich neben sie.
»Ich wollte dir allein etwas sagen«, sagt sie leise und holt tief Luft.
»Ich komme morgen nicht mit.«
»Zur Beisetzung?«
Mia nickt. Sie dreht sich um. »Ich habe mir das genau überlegt.«
»Hast du schon mit Alexandra gesprochen?«
Mia verneint. »Mama ist völlig hysterisch. Die hat große Angst vor morgen. Wenn ich ihr jetzt schon sage, dass ich nicht dabei sein will, dreht sie durch. Dann legt sie mir Handschellen an. Oder sie zwingt mich, eine Therapie zu machen. Da bekomme ich morgen früh lieber eine Darmgrippe.« Sie zieht eine Grimmasse. »Ich tu aber nur so.«
»Findest du es gut, sie allein zu lassen?«
Kaum habe ich die Frage gestellt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl, denn Mia ist doch noch ein Kind.
Aber »das Kind« zerstreut meine Bedenken. Mit ernster Stimme erwidert Mia: »Ja. Ich glaube sogar, dass sie sich besser fühlt, wenn ich nicht dabei bin. Sie will mich ständig beschützen und sich um mich kümmern. Wenn sie
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